Ein neues Album von Barbra Streisand unbefangen zu hören, ist ein Ding der Unmöglichkeit. Immerhin handelt es sich bei dieser Frau mit ihren ungefähr 145 Millionen verkauften Tonträgern um die wohl größte Sängerin des Broadway, die es je gegeben hat. Spätestens seit die Streisand vor einem halben Jahrhundert in Funny Girl die »Fanny Brice« verkörperte, steht sie ganz oben auf dem Broadway-Olymp. Hinzu kommt noch ihre Hollywoodkarriere, die ihresgleichen sucht, gerade wegen Filmen wie Yentl, mit dem sie sich nicht nur als Ikone der Frauenbewegung etabliert hat, sondern auch als jüdischer Superstar.
Egal was diese Frau anzufassen scheint: Es verwandelt sich alles in Goldene Schallplatten oder Oscars, Grammys und Emmys, Golden Globes und Tony Awards. Sie ist die Inkarnation des Superstars schlechthin. Selbst wenn sie das »Avinu Malkeinu« singt, dann tut sie das nicht introvertiert in der heimischen Synagoge, sondern vor Bill Clinton und einem sichtlich zu Tränen gerührten Schimon Peres.
Zugabe Natürlich ist es da schwierig, das neue Streisand-Album Encore (Zugabe) mit offenen Ohren zu hören, zumal die Sängerin alles dafür tut, dass die Songs in gewohnt bombastischer Aufmachung präsentiert werden. Von der Auswahl der renommiertesten Studiomusiker bis hin zu einem der angesagtesten Arrangeure, der schon Celine Dion oder Michael Jackson auf Musikwolke sieben »beamte«, haben an dem Album nur die besten und kreativsten Köpfe mitgewirkt.
Auch die Idee, die hinter Encore steht, ist brillant: Streisand hat sich Schauspielerkollegen aus Hollywood ins Studio geladen. Und wenn die Grande Dame des Broadway mit dem Finger schnippt, dann stehen selbst die attraktivsten Herren der Schöpfung Schlange: Alec Baldwin, Antonio Banderas oder Hugh Jackman. Jamie Fox, Chris Pine und Patrick Wilson komplettieren das illustre Männerspalier. Selbst Streisands nunmehr dritter Ehemann, der Schauspieler James Brolin, darf bei einer Nummer mitmachen.
Schauspielerinnen sind hingegen nur wenige mit dabei: Anne Hathaway, die ein Duett mit dem Star Wars-Neuling Daisy Ridley singt, sowie die Schauspielerin Melissa McCarthy. Mit ihr singt Streisand den hinreißenden Song »Anything You Can Do« aus dem Musical Annie Get Your Gun, mit dem Irving Berlin im Jahr 1946 zu Weltruhm gelangte.
Auch die Auswahl der übrigen Songschreiber birgt keine Überraschungen. Die insgesamt 14 »Good Old Songs« stammen von Stephen Sondheim, Alan und Marilyn Bergman oder Marvin Hamlisch – also der Hautevolee der Broadway-Komponisten. Alles vom Feinsten, alles vom Schönsten. Nur eines vermisst man, und das ist gerade bei Broadway-Songs das Salz in der Suppe: Es fehlt über weite Strecken der Pepp!
balladen Das fällt besonders auf, weil die Streisand bis auf die flotte Eingangsnummer »At The Ballet« (mit Hathaway und Ridley) und das schmissige Duo »Anything You Can Do« mit Melissa McCarthy für ihre männlichen Kollegen ausschließlich langsame Balladen ausgewählt hat. Die Nummern, die auf der Broadway-Bühne noch als romantische Duette gut funktionieren, unterliegen auf der CD nun einmal anderen Gesetzen. Schuld sind also nicht müde Männer, sondern vielmehr Streisand selbst.
Besonders augenfällig ist das bei den Duetten mit ihren weiblichen Kollegen, denn dort tritt Streisand in stimmliche Konkurrenz – und zwar zu ihren Ungunsten. Auch kein noch so brillanter Tontechniker könnte kaschieren, dass ihrem Vortrag die Verve fehlt.
Was den Eindruck erhärtet, dass es sich bei Encore um einen Strauß betagter Balladen handelt. Diese 14 Songs werden sich zwar wie immer großartig verkaufen, dennoch haben sie den Anschluss an die Zeit ein wenig verloren. Das schreit nicht gerade nach einer Zugabe. Es scheint eher wie ein Abgesang.
Barbra Streisand: »Encore. Movie Partners Sing Broadway«. Smi Col, 2016