Dass der Vater der Anti-Baby-Pille ein aus Wien stammender Jude namens Carl Djerassi ist, ist weithin bekannt. In Wirklichkeit hatte die moderne Empfängnisverhütung aber sogar zwei jüdische Väter, die eng zusammenarbeiteten. Daran, dass der Chemiker und Manager George Rosenkranz in Deutschland so unbekannt ist, dass er es nicht einmal zu einem eigenen Wikipedia-Beitrag gebracht hat, ist aber nicht etwa kollegiale Rivalität schuld, sondern hauptsächlich die Öffentlichkeitsscheu des Mannes, der am 20. August 1916 in Budapest als György Rosenkranz geboren worden war.
Der heute 93-Jährige studierte in der Schweiz an der renommierten Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich Chemie und machte dort auch seinen Doktor. Sein Mentor, der spätere Nobelpreisträger Lavoslav Ružicka, lenkte das Interesse des jungen Wissenschaftlers auf das Thema Steroide und begründete damit den kommenden Erfolg von Rosenkranz.
Per Boot Ab 1933 waren auch in der Schweiz Nazis aktiv geworden. Ružicka stellte sich zwar immer wieder schützend vor seine jüdischen Mitarbeiter; die wollten dem Wissenschaftler den großen Druck allerdings nicht lange zumuten. In einem Interview berichtete Rosenkranz: »Wir trafen uns und entschieden, dass wir das Land verlassen sollten, um ihn nicht in Gefahr zu bringen.« Während die meisten Kollegen in die USA gingen, nahm Rosenkranz ein Angebot aus Ecuador an. An der Universität der Hauptstadt Quito sollte er Vorsitzender der Fakultät für anorganische Chemie werden. Per Boot gelangte er zunächst nach Kuba, wo er drei Wochen später das nächste Schiff nach Südamerika nehmen wollte – das allerdings nie eintraf. Rosenkranz hatte trotzdem Glück, denn er wurde nicht abgeschoben. Nach dem Kriegseintritt der USA hatte der kubanische Diktator Fulgencio Batista allen Flüchtlingen erlaubt, im Land zu bleiben und zu arbeiten. In Havanna stieg der Chemiker zum wissenschaftlichen Leiter eines großen pharmazeutischen Unternehmens auf. Und lernte dort 1942 auch seine Frau Edith Stein kennen, die aus Wien stammte. Drei Jahre später heirateten die beiden und bekamen drei Söhne.
Nach Kriegsende zog das Paar nach Mexiko. Rosenkranz war durch seine auch auf Kuba fortgesetzten Hormon-Forschungen für die mexikanische Firma Syntex interessant geworden, die versuchte, aus der einheimischen Yam-Wurzel das Hormon Progesteron zu gewinnen. Nachdem der ursprüngliche Leiter des Teams das Unternehmen verlassen hatte, übernahm Rosenkranz seine Position und heuerte weitere Wissenschaftler an, darunter auch Carl Djerassi. Die Männer forschten tagsüber, abends hielten sie Vorlesungen an der neu gegründeten Chemie-Fakultät der Universität von Mexiko-Stadt – bis dahin waren im Land keine Chemiker ausgebildet worden.
Kortison Zu den großen Entdeckungen von Rosenkranz und seinem Team gehört nicht nur die Anti-Baby-Pille. Auch die Herstellung von künstlichem Kortison und damit die Behandlung von Arthritis und anderen Krankheiten wurde erst durch die Arbeit seines Unternehmens ermöglicht.
Den gesellschaftlichen Nutzen der Pille zu diskutieren, wolle er lieber anderen überlassen, sagte Rosenkranz 2001 während einer Ehrung an der Universität von Mexiko. Ihm sei viel wichtiger, dass die erfolgreiche Arbeit an dem Verhütungsmittel vor allem eines bewiesen habe, nämlich die Wichtigkeit interdisziplinärer Forschung. »Unsere wissenschaftlichen Erfolge waren sowohl ein Triumph der Kunst des Managements als auch intellektueller Prozesse.«
guter stich Dieses Statement passt auch zu dem, was Rosenkranz auf einem ganz anderen Gebiet zu Berühmtheit verhalf: Als führender Bridge-Spieler Mexikos trat er bei Dutzenden Weltmeisterschaften an und gewann zahlreiche Titel – ebenso wie Edith Rosenkranz bei den Frauen. Mit wissenschaftlicher Präzision hatte sich der Chemiker daran gemacht, ein eigenes Biete-System namens Romex zu entwickeln, das bald auch von anderen internationalen Spitzenspielern übernommen wurde.
Bridge hatte der Wissenschaftler schon als Kind aus einem der Standardwerke gelernt. »Ich habe meine Eltern immer in Spielen um Taschengeld geschlagen«, sagtte er in einem seiner raren Interviews. Er beließ es später nicht nur beim Spielen: Der von ihm gestiftete Rosenkranz-Award belohnt die »Best Bid Hand of the Year«, darüber hinaus betätigte sich Rosenkranz auch als Autor: Bisher sind von ihm 14 Fachbücher zum Thema Bridge erschienen.
Lösegeld Das von ihm so sehr geliebte Kartenspiel bescherte George Rosenkranz allerdings auch zwei furchtbare Tage: Am 19. Juli 1984 wurde seine Frau, während sie mit ihm in Washington ein Bridge-Turnier besuchte, in einer Hotelgarage von drei bewaffneten Männern entführt. 48 Stunden später wurde Edith nach Zahlung von einer Million Dollar Lösegeld wohlbehalten freigelassen. Dass ihre Kidnapper schnell gefasst wurden, änderte nichts am erlittenen Schock, der Rosenkranz’ Öffentlichkeitsscheu noch verstärkte. Schließlich hatte er immer betont: »Mein Lieblingspartner beim Bridge ist meine Frau, sie ist das Schönste, was mir in meinem Leben je passiert ist.«
Gemeinsam den Ruhestand zu genießen, kam allerdings im Lebensplan nie vor. Er werde sich niemals zur Ruhe setzen, hatte Rosenkranz immer betont, sondern lieber zur Entwicklung der Genforschung und damit zur Heilung von Krankheiten beitragen. Noch vor einigen Jahren besuchte er zweimal täglich ein Fitnessstudio, »und außerdem trainiere ich mein Gehirn wie einen Muskel, denn intellektuelle Anstrengungen können den Ausbruch von Alzheimer um zehn Jahre verzögern.«
Es gibt schließlich noch so viel zu tun: Ende März wurde erstmals der mit 100.000 Dollar dotierte Dr.-George-Rosenkranz-Preis verliehen, der die Gesundheitsvorsorge in Entwicklungsländern fördern soll. Preisträger Eran Bendavid wird nun zwei Jahre lang untersuchen, welchen Effekt die Vorsorgeprogramme der US-Regierung gegen Malaria und Aids in der Subsahara haben.