Roman

Die Braut, die keine Trauung wollte

Ronit Matalon zeigt in ihrem kurzen Buch, wie die Weigerung der Braut eine Familientragödie weitaus größeren Ausmaßes zum Vorschein bringt. Foto: pr

Roman

Die Braut, die keine Trauung wollte

In ihrem letzten Buch lotet die israelisch-sefardische Schriftstellerin Ronit Matalon das Potenzial weiblicher Verweigerung aus

von Ayala Goldmann  08.10.2018 19:56 Uhr

Sie wurde nur 58 Jahre alt: Ronit Matalon, Schriftstellerin, Journalistin und Professorin für hebräische und vergleichende Literatur an der Universität Haifa, ist am 28. Dezember 2017 an Krebs gestorben.

Einen Tag vor ihrem Tod wurde die Israelin für ihren kurzen Roman Und die Braut schloss die Tür mit dem Brenner-Preis der Hebrew Writers Association in Israel ausgezeichnet. Stellvertretend für ihre Mutter nahm Ronit Matalons Tochter Talya den Preis am 27. Dezember entgegen. Sie trug auch die Dankesrede der Autorin vor, in der Ronit Matalon Parallelen zur Handlung ihres Buchs zog: »Abwesenheit ist manchmal genauso bedeutsam wie Anwesenheit.«

In Und die Braut schloss die Tür schließt sich Margalit, genannt Margi, eine junge Frau aus einer sefardisch-jüdischen Familie in Israel, wenige Stunden vor der geplanten Hochzeit im Schlafzimmer ihres Elternhauses ein und weigert sich hartnäckig, wieder herauszukommen: »Ich heirate nicht, heirate nicht, heirate nicht!«

Festgarten Mit ihrer unerwarteten Haltung stellt die Heldin die gesamte Familie auf eine schwere Probe. Denn der Festgarten ist bestellt, wie in Israel üblich sind Hunderte von Gästen eingeladen, doch Margi verweigert die Mitwirkung an der von ihr selbst initiierten Heirat mit ihrem Bräutigam Matti – und das völlig ohne Erklärung.

Ronit Matalon zeigt in ihrem kurzen Buch, das mit seinen begrenzten Schauplätzen – die Wohnung der Brautmutter, ein Parkplatz, ein Auto – ein wenig an einen Low-Budget-Film erinnert, wie die Weigerung der Braut eine Familientragödie weitaus größeren Ausmaßes zum Vorschein bringt: Margis kleine Schwester Nathalie ist vor zehn Jahren spurlos verschwunden, der Vater hat sich fünf Jahre später von der Mutter getrennt.

Was Margis Weigerung zu heiraten mit dieser Vorgeschichte zu tun haben könnte, oder ob der Grund in ihrer Beziehung zu Matti zu suchen ist, bleibt offen. Genau das ist der Reiz an diesem Buch, das auch durch seine präzise Sprache besticht. Wie der brüskierte Bräutigam, seine Eltern und die Brautmutter fragt sich auch die Leserin während der gesamten Lektüre: Warum tut sie das – ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt?

Psychiaterin Doch weder Matti noch die herbeigerufene, privat praktizierende Psychiaterin von der Organisation »Bereuende Bräute«, die für solche Situationen geschult ist und für Noteinsätze massiv zur Kasse bittet, bringen Margi dazu, sich zu erklären.

Der Angestellte der Palästinensischen Autonomiebehörde, ein Bekannter der Familie, der ein Auto mit Leiter besitzt und über das Fenster des Hauses einen Zugang zum Schlafzimmer schaffen soll, können ebenfalls nichts ausrichten. Schließlich ist es Sabtuna, die nur auf den ersten Blick beschränkte Großmutter, die erfolgreich an die Gefühle der Braut appelliert – mit einem Lied der arabischen Sängerin Fairuz.

Darin liegt viel Symbolik: Ronit Matalon, die immer wieder die Probleme von »Misrachim« thematisierte, als Reporterin für »Haaretz« arbeitete und aus den palästinensischen Gebieten berichtete, gilt als wichtige literarische Stimme »arabischer« Juden.

Ihre Eltern wanderten aus Ägypten nach Israel ein; Ronit Matalon wuchs größtenteils bei ihrer Großmutter auf. In Deutschland sind bisher Was die Bilder nicht erzählen (1998), Eine Geschichte, die mit dem Begräbnis einer Schlange beginnt (1999) und Sara, Sara (2000) erschienen. Nun, da Ronit Matalons letztes Buch auf Deutsch publiziert wird, fühlt man sich an ein Sprichwort erinnert: Eine Tür öffnet sich, wenn eine andere sich schließt.

Ronit Matalon: »Und die Braut schloss die Tür«. Aus dem Hebräischen von Gundula Schiffer. Luchterhand, München 2018, 160 S., 18 €

TV-Legende

Rosenthal-Spielfilm: Vom versteckten Juden zum Publikumsliebling

»Zwei Leben in Deutschland«, so der Titel seiner Autobiografie, hat Hans Rosenthal gelebt: Als von den Nazis verfolgter Jude und später als erfolgreicher Showmaster. Ein Spielfilm spürt diesem Zwiespalt nun gekonnt nach

von Katharina Zeckau  28.03.2025

Patrick Modiano

Tanz durch die Erinnerung

Patrick Modianos Hommage an eine namenlose Tänzerin widmet sich den kleinen Dramen des Alltags, die es zu meistern gilt

von Ellen Presser  28.03.2025

Taffy Brodesser-Akner

Vom Dibbuk im Getriebe

Gleich drei Generationen sind in dem neuen Roman der amerikanischen Journalistin und Autorin ziemlich dysfunktional

von Sharon Adler  28.03.2025

Roberto Saviano

Intrigen und Verrat

Der italienisch-jüdische Autor schreibt sprachgewaltig in zwölf Erzählungen über die Frauen in der Mafia

von Knut Elstermann  28.03.2025

Thomas Mann

König der Emigranten

Martin Mittelmeier beleuchtet Leben und politisches Wirken des Nobelpreisträgers im kalifornischen Exil

von Tobias Kühn  28.03.2025

Assaf Gavron

Weltregierung und Einsamkeit

Erfrischend, erstaunlich, spannend: Zwei neue Erzählungen des israelischen Autors

von Maria Ossowski  28.03.2025

Geschichte

Mehr als die Bielski-Brüder

Der NS-Historiker Stephan Lehnstaedt hat ein erhellendes Buch über den jüdischen Widerstand veröffentlicht

von Alexander Kluy  28.03.2025

Friedl Benedikt

Die Schülerin

Im Nachlass von Elias Canetti wurde die vergessene literarische Stimme einer beeindruckenden Autorin gefunden

von Sophie Albers Ben Chamo  28.03.2025

Lille

Oliver Masucci lernte für Serie Hebräisch

Der amerikanisch-israelische Mehrteiler »The German« hat auf Europas größtem Festival für TV-Serien viel Anerkennung gefunden. Doch der Schatten des Krieges in Gaza und Israel erreichte auch dieses Historien-Drama

von Wilfried Urbe  28.03.2025