Eines vorab: Der Autor ist in einem Alter, in dem religiöse Initiationsriten schon eine Ewigkeit her sind. Er ist vielleicht also nicht der beste Rezensent für einen Film, der auf einem Musical für Kinder basiert, das 2008/2009 am Broadway lief – unter anderem mit Teeniestars wie Ariana Grande. Aber da 13: Das Musical nun einmal bei Netflix läuft, muss es sich auch erwachsenen Kritikern stellen.
Man verrät niemandem die Handlung, wenn man kurz erzählt, was die Ausgangslage ist. Der zwölfjährige Evan Goldman (Eli Golden) steht kurz vor seiner Barmizwa in einer mondänen liberalen Gemeinde in der Upper Whatsoeverside in New York. Doch die Trennung seiner Eltern durchkreuzt Evans hippe Pläne. Es geht nach Appleton, Indiana, wo seine Großmutter lebt.
2000-seelen-kaff In dem 2000-Seelen-Kaff gibt es so ziemlich alles, nur keine Juden – doch Evan ist wild entschlossen, die beste Barmizwa aller Zeiten auf die Beine zu stellen. Netflix spricht in der Beschreibung der Handlung etwas großspurig von einem »Coming-of-Age-Musical«. »Stadtkind zieht aufs Land« ist seit Johanna Spyris Heidi ein gern bemühter Topos. Aber die Zeiten, als sich in der Einöde Geißenpeter und der Alm-Öhi »Gute Nacht« sagten, sind längst vorbei.
Und hier beginnt das ärgerliche Verbiegen der Realität in Richtung Political Correctness. Denn Evans neue Schulkumpel in der Kleinststadt am hintersten Ende des Nichts in einem Flyover State (der Teil der USA, den Bewohner Neuenglands und Kaliforniens höchstens überfliegen auf dem Weg von Küste zu Küste) sind so divers wie Manhattan oder Queens.
Mit der Apotheker-Waage wird bis auf die sechste Stelle hinterm Komma das gesellschaftliche Mittel der Vereinigten Staaten austariert. Auf Summe X weißer Darstellerinnen und Darsteller kommt der exakte Proporz asiatischer, schwarzer, hispanischer und in ihrer Bewegung eingeschränkter Menschen. All das in einem Straßendorf in Indiana.
Das unerbittliche Korsett der politischen Korrektheit quetscht mögliche Ecken und Kanten aus dem Drehbuch.
Kein Wunder, dass es bei diesem Drehbuch gelingt, auch eine perfekte Barmizwa auf die Beine zu stellen. Die Gojim machen fröhlich mit und stellen in Ermangelung eines Tempels natürlich auch ihre Kirche zur Verfügung. Das alles könnte lustig sein, chaotisch, traurig, anrührend – aber das unerbittliche Korsett der politischen Korrektheit quetscht mögliche Ecken und Kanten aus dem Drehbuch, das dadurch so glatt wirkt wie ein über die Jahrtausende geschliffener Kiesel.
lehrreiches Da weder irgendetwas Lehrreiches über das Judentum vermittelt wird, noch über das Leben in der Diaspora, bleibt wenig hängen nach zwei Stunden und vier Minuten. Auch die Musik nicht, die ähnlich gefällig dahindümpelt wie der Plot.
Natürlich leisten die Hauptdarsteller um den pfiffigen wie liebenswerten Eli Golden eine Menge, das soll auch gar nicht geschmälert werden. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass derlei Tanz, Gesang und Text in einem Musical am Broadway besser funktioniert als auf Netflix, ist doch recht hoch. Schade um die verschenkten Möglichkeiten, schade, dass Kindern heute ein solch aseptischer Brei vorgesetzt wird – anstatt ehrlich Gemeinsamkeiten genauso wie Unterschiede zwischen den (jungen) Menschen mit Wortwitz und etwas mehr Zutrauen in die Intelligenz des Publikums als gute Unterhaltung zu servieren.