Verbrechen

Die 65-Milliarden-Dollar-Frage

Rekordhalter im Bterug: Bernard Madoff Foto: dpa

Verbrechen

Die 65-Milliarden-Dollar-Frage

Dominique Manotti dekonstruiert Bernard Madoff

von Michael Wuliger  13.10.2014 19:11 Uhr

Bernard Madoff ist eine Kriminallegende. 65 Milliarden Dollar Kundengelder waren verschwunden, als der führende New Yorker Investmentbanker 2008 wegen Betrugs festgenommen wurde. Die Liste der Betrogenen las sich wie ein Who’s who des internationalen Jetsets: Das Showbusiness (Steven Spielberg, John Malkovich, Uma Thurman) war ebenso vertreten wie die Politik (Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel, New Yorks Ex-Gouverneur Eliot Spitzer), der Geldadel (Familie Thyssen) und der Sport (Fußballtrainer Louis van Gaal, Baseball-Legende Sandy Koufax), außerdem so gut wie alle großen Banken und Versicherungen der Welt, von der Schweizer UBS bis zur deutschen Allianz.

Zu denen, die ihr Geld verloren, gehörten auch zahlreiche jüdische Institutionen in den USA, von der zionistischen Frauenorganisation Hadassah bis zur New Yorker Yeshiva University. Dafür wurde Madoff 2009 zu 150 Jahren Haft verurteilt, die er im Butner-Bundesgefängnis in North Carolina verbüßt.

monolog So etwas ist Stoff für Fiktion. Woody Allen ließ sich von Madoff für seinen Film Blue Jasmine inspirieren, ebenso Nicholas Jarecki für Arbitrage, wo Richard Gere eine Madoff-ähnliche Figur spielt. In einer HBO-Produktion wird kein Geringerer als Robert de Niro den Großbetrüger verkörpern.

Auch die Französin Dominique Manotti hat sich des Themas angenommen. Madoffs Traum heißt ihre kleine Novelle, die auf Deutsch im Hamburger Argument-Verlag herausgekommen ist. Manotti ist als Autorin für das Thema doppelt qualifiziert. Nicht nur hat sie etliche hard-boiled Thriller verfasst, die ihr einige internationale Krimipreise eingetragen haben. Unter ihrem richtigen Namen Marie-Noelle Thibault war sie auch Dozentin für Wirtschaftsgeschichte, bevor sie mit 50 Jahren ihre literarische Karriere begann.

Auf 53 Seiten lässt Manotti ihren Antihelden über sein Leben, seine Geschäfte und seinen Untergang monologisieren, von den bescheidenen Anfängen als kleiner Börsenmakler über den Aufstieg in den Reagan-Jahren und mit dem Hightech-Boom bis zum Subprime-Crash von 2008, in dessen Gefolge Madoffs Schwindel aufflog. Wobei die Autorin ihn nicht so sehr als Betrüger zeichnet, sondern als gewöhnlichen Finanzhai, nicht schlimmer als die anderen Raubtiere im Wall-Street-Becken. Für Manotti ist Madoff nur der zugespitzteste Ausdruck eines radikalisierten Kapitalismus – mit Marx ausgedrückt, eine »Charaktermaske«.

zorn Da kommt Dominique Manottis politische Haltung ins Spiel. Die frühere Gewerkschaftsaktivistin ist, wie sie sagt, von Antonio Gramsci und Rosa Luxemburg ebenso inspiriert wie von James Ellroy. »Madoffs Traum«, schreibt sie im Nachwort, »ist eine moralische Erzählung. Ich habe diesen Monolog im Zorn geschrieben«. Der Großbetrüger sei, glaubt Manotti, so hart bestraft worden, weil er die Elite abgezockt habe, statt, wie seine Kollegen in anderen Investmentfirmen, die Unter- und Mittelschicht. »In den Vereinigten Staaten hat man das Recht, die Armen zu berauben, nicht aber die Reichen. Daher mein Zorn.«

Vor lauter Zorn freilich hat die Autorin die Chance verpasst, aus dem Madoff-Stoff einen wirklich guten Thriller zu schneidern. Dabei liefert sie das Schnittmuster dafür selbst. Manotti stellt die ökonomisch und forensisch höchst plausible Frage, wie es möglich war, dass Madoffs Schneeballsystem über Jahrzehnte funktionieren konnte, wo doch in der Regel diese Art Betrugsmanöver nach maximal sechs Monaten auffliegen müssten, weil dann der Vorrat an Trotteln aufgebraucht ist und kein neues Geld mehr reinkommt.

Ihre fiktionale Antwort: Madoffs Schneeballsystem war keines, sondern nur Tarnung für eine gewaltige Geldwaschanlage mafiöser Art. Das hätte einen guten Plot für einen wirklich spannenden Finanzthriller abgegeben. Wäre schön, wenn Dominique Manotti sich die Zeit nehmen würde, ihn zu schreiben.

Dominique Manotti: »Madoffs Traum«. Deutsch von Iris Konopik. Argument. Hamburg 2014, 64 S., 8 €

Aufgegabelt

Mazze-Sandwich-Eis

Rezepte und Leckeres

 18.04.2025

Pro & Contra

Ist ein Handyverbot der richtige Weg?

Tel Aviv verbannt Smartphones aus den Grundschulen. Eine gute Entscheidung? Zwei Meinungen zur Debatte

von Sabine Brandes, Sima Purits  18.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  18.04.2025

Kulturkolumne

Als Maulwurf gegen die Rechthaberitis

Von meinen Pessach-Oster-Vorsätzen

von Maria Ossowski  18.04.2025

Meinung

Der verklärte Blick der Deutschen auf Israel

Hierzulande blenden viele Israels Vielfalt und seine Probleme gezielt aus. Das zeigt nicht zuletzt die Kontroverse um die Rede Omri Boehms in Buchenwald

von Zeev Avrahami  18.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025

Interview

»Die ganze Bandbreite«

Programmdirektorin Lea Wohl von Haselberg über das Jüdische Filmfestival Berlin Brandenburg und israelisches Kino nach dem 7. Oktober

von Nicole Dreyfus  16.04.2025