Eigentlich könnte alles so einfach sein: Nur den Dickmacher Zucker in Softdrinks oder Joghurts gegen Aspartam, Saccharin oder Sucralose austauschen, und schon kann man ungehemmt genießen. Das jedenfalls glaubte auch Dalia Gurewitz. »Kein Gramm habe ich abgenommen, obwohl ich seit Jahren nur Cola-Light trinke und nie Zucker, sondern Süßstoff in meinen Kaffee tue. Eher im Gegenteil!« Auch sonst kauft die 53-jährige Buchhalterin aus Ramat Gan fast ausschließlich kalorienreduzierte Produkte. »Und zu allem Überfluss hat mir mein Arzt bei der letzten Routineuntersuchung auch noch einen erhöhten Blutzuckerspiegel attestiert«, klagt sie.
Dass die über Jahre hinweg konsumierten Süßstoffe in Lebensmitteln und Getränken die Ursache dafür sein könnten, diese Vermutung legt eine aktuelle Studie aus Israel nahe. Darin haben Forscher des Weizmann-Instituts in Rehovot die Schattenseiten von Saccharin & Co. aufgedeckt. Offensichtlich besteht zwischen ihrem Konsum und Störungen des normalen Zuckerstoffwechsels ein Zusammenhang. Glukose-Intoleranz lautet das Stichwort.
Dabei richten die Zuckerersatzstoffe erst einmal keinen direkten Schaden an. Sie schmecken genauso süß wie das Original, und weil der Körper sie nicht verarbeiten kann, werden ihm auch null Kalorien zugeführt. Süßstoffe wandern quasi unverändert durch den Verdauungstrakt, kommen dabei aber in direkten Kontakt mit der Darmflora und scheinen dabei das Artenspektrum der Darmkeime und ihre spezifischen biochemischen Aktivitäten zu beeinflussen.
Darmflora »Die Beziehung zwischen unserem Körper und der ganz individuellen Mixtur aus Darmbakterien spielt eine wichtige Rolle dabei, welche Auswirkungen die Ernährung auf uns hat«, erklärt Eran Elinav, einer der beiden Leiter der Forschungsgruppe, die Problematik. »Unsere Untersuchungen haben nun ergeben, dass Süßstoffe genau die Missstände hervorrufen können, die sie eigentlich bekämpfen sollen.« Gemeint sind Diabetes und Übergewicht. Mehrmals bereits standen Aspartam, Saccharin oder Sucralose unter Verdacht, gesundheitliche Probleme wie Krebs hervorzurufen. Immer wieder wurden sie an Mäusen getestet, die daraufhin Tumore entwickelten. Doch aufgrund schwerer methodischer Fehler wird die Aussagekraft dieser Studien angezweifelt. Die Wissenschaft ist heute recht sicher, dass der Verzehr in den üblichen Mengen diesbezüglich sicher ist.
Auch der oft unterstellte Einsatz von Süßstoffen als ein Appetitanreger in der Schweinemast hat sich als modernes Märchen entpuppt. Allenfalls Saccharin wird bei Ferkeln bis zum Alter von vier Monaten verwendet, um sie so der Muttermilch zu entwöhnen.
Blutzuckerspiegel »Bekannt aber ist, dass ein Ungleichgewicht zwischen den Populationen von Darmbakterien das Risiko für Stoffwechselerkrankungen wie Fettleibigkeit und Diabetes Typ 2 in die Höhe schnellen lässt«, so Elinavs Kollege Eran Segal. »Genau diese werden aber durch die Zuckerersatzstoffe ausgelöst, die überall in Lightprodukten und Diätlimonaden zu finden sind.« Um ihre These zu untermauern, haben die Wissenschaftler das Trinkwasser von Mäusen mit den gängigen Süßstoffen Aspartam, Saccharin oder Sucralose angereichert. Parallel dazu wurde weiteren Kontrollgruppen reines Wasser gereicht oder solches, das Glukose oder Rohrzucker erhielt.
Bei allen nicht reines Wasser trinkenden Nagern stieg im Verlauf von elf Wochen der Blutzuckerspiegel deutlich an, am meisten bei denen, die Saccharin bekamen. Einen weiteren Beweis erbrachte die Übertragung des Darminhalts der mit Zuckerersatzstoffen gefütterten Mäuse in den Körper von kerngesunden Tieren. Diese entwickelten prompt Probleme, weil die Balance zwischen Bacteroides- und Clostridienarten ähnlich durcheinander geriet wie bei Patienten mit Diabetes Typ 2.
Stoffwechsel Bei Menschen gab es vergleichbare Reaktionen. Vier von sieben Testpersonen, die die von der amerikanischen Lebensmittelbehörde empfohlene maximale tägliche Verzehrmenge von fünf Milligramm Saccharin pro Kilo Körpergewicht zugeführt bekamen, verzeichneten eine signifikante Verschlechterung ihrer Glukose-Toleranz. »Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass der Konsum von Süßstoffen sowohl bei Menschen als auch bei Mäusen die Wahrscheinlichkeit einer Glukose-Intoleranz erhöht«, erklärt Jotham Suez, einer der an der Studie beteiligten Wissenschaftler. »Eine Neubewertung dieser Substanzen ist daher dringend zu empfehlen.«
Die Ergebnisse aus Rehovot kommen für die Lebensmittelindustrie zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Jahrelang stand sie am Pranger, weil ihr immer wieder attestiert wurde, dass ihre Produkte zu viel Zucker enthalten. Viele Hersteller wechselten daraufhin zu Süßstoffen, in der Annahme, damit sei alles in bester Ordnung. »Auf keinen Fall behaupten wir nun, dass zuckerhaltige Getränke gesünder sind als solche mit Süßstoffen«, relativiert Segal. »Aber die Ergebnisse unserer Studie sollten schon eine Debatte über den massiven Einsatz dieser Ersatzstoffe auslösen.«
Auch Elinav möchte keine entsprechenden Empfehlungen aussprechen. Für sich persönlich hat er allerdings einen Entschluss gefasst: »In meinen Kaffee kommt jetzt kein Süßstoff mehr.«