»Die stille Frage meiner Jugend lautete, ob ein Trottel im Leben glücklich werden kann.« So beginnt der 1951 in Prag geborene Schriftsteller Jan Faktor seinen autobiografischen Roman Trottel, mit dem er es auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft hat. Einer Beschreibung des eigenen Lebens den Titel Trottel zu geben, zeugt von Selbstironie. Faktor ist ein Meister darin, und ebenso ein Meister des Spotts und der Komik.
Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings und einem abgebrochenen Studium hat er Anfang der 70er-Jahre »eine vollkommen untergeordnete Arbeit in einem ökonomischen Forschungsinstitut« gefunden, wo er sich mit Statistiken beschäftigt, die auf Zahlen basieren, die »gelogen, geschönt, frei erfunden« waren. Doch noch mehr als diese Arbeit bedrücken ihn die politischen Verhältnisse: »In der Tschechoslowakei waren damals schnell alternde Opportunisten, Schleimer und Dummköpfe an der Macht, die bei der nachokkupatorischen Säuberungswelle aus der zweiten oder dritten Reihe nach oben gespült worden waren.«
»Prager Hölle« Er will dieses Land verlassen, die »Prager Hölle«, wie er es nennt. »Etwas in mir wollte aus Prag unbedingt verschwinden, wollte raus aus dieser fauligen, verfilzten, porenverstopften Knödelgeschwulst.« Am liebsten in Richtung Westen. Doch sei in seinem Leben alles anders gekommen als gedacht. Und so verschlägt ihn die Liebe ausgerechnet nach Ost-Berlin, in den »DDR-Pferch«, wie er den Mauerstaat nennt, »die Deutsche Reichsbananenrepublik«, »die real existierende Dederonie«.
Faktor schraubt die deutsche Sprache auseinander, setzt sie wieder zusammen, spart nicht mit Fußnoten.
Faktor schraubt die deutsche Sprache auseinander, setzt sie wieder zusammen, spart nicht mit Fußnoten, erfindet unzählige weitere Synonyme für dieses Land, das ihn befremdet, aber irgendwie auch amüsiert: »Deutsche rundumordnungsliebende Republik«, »Deutsche Durchschnittsrepublik«, »DDReutschland«, »das DDReich«.
Was es für ihn als Sohn und Enkel von Auschwitz-Überlebenden bedeutet haben mag, unter Deutschen Fuß zu fassen, erwähnt er mit keinem Wort. Stattdessen preist er den nördlich der alten Tschechoslowakei gelegenen sozialistischen deutschen Teilstaat als für ihn »allerliebst geeignet«: »Die DDR war für mich tatsächlich wie geschaffen. Die Schäbigkeit des Landes wurde mein Forschungsthema.«
literatenszene Er dockt an die Literatenszene im Prenzlauer Berg an, betrachtet wie ein Zoobesucher das »ostdeutsche Teilvolk« und beschreibt distanziert, ungeschönt, ja schelmisch den Alltag in der DDR: die kleinbürgerliche Enge, die Borniertheit der Behörden, den Freiraum und Erfindergeist junger Aussteiger in besetzten Altbauwohnungen, die ständigen Einschüchterungsversuche des Staates, die Bespitzelung durch die Stasi.
Faktor vergleicht das Leben in seiner Geburtsstadt Prag mit dem in Ost-Berlin und fragt sich: »Wieso war die DDR so einmalig im Ostblock?« Er sinniert: »Ließ sich der DDR-Leibeigene leichter dressieren als ein Ostmitteleuropäer?«
In seinem neuen Buch versucht Jan Faktor, den Tod seines Sohnes literarisch zu verarbeiten.
Faktors Buch kann heutigen Ostalgikern helfen, sich daran zu erinnern, wie es damals wirklich war. Auf subtile Art liest er denen, die meinen, früher sei alles besser gewesen, die Leviten. So ist das Buch auch ein Plädoyer gegen die heute weit verbreitete Ostalgie – und ein großes Lesevergnügen für alle ehemaligen Bewohner der DDR, die froh sind, dass es dieses Land nicht mehr gibt. Wie etliche von ihnen schien aber auch der »Trottel« eine Nische gefunden zu haben, in der es sich erträglich leben ließ und man trotz allem glücklich sein konnte.
schicksalsschlag Vor zehn Jahren erlebte Jan Faktor einen Schicksalsschlag, der ihn in eine tiefe Krise stürzte: Sein Sohn, 33 Jahre alt und psychisch krank, nahm sich das Leben. Der Schmerz über diesen Verlust zieht sich durch das gesamte Buch. Frei assoziierend wie auf der Couch eines Psychoanalytikers denkt Faktor über die Schieflagen des Lebens nach, erinnert sich an die Kindheit und Jugend seines Sohnes, an manchen heftigen Streit und daran, wie ihm und seiner Frau die psychische Labilität des Kindes erstmals auffiel: »Dieser fremdartige Einbruch des Irrsinns in unser Leben kam ganz plötzlich.«
Jan Faktor hat Jahre gebraucht, um sich damit auseinanderzusetzen. In seinem neuen Buch versucht er, den Tod seines Sohnes literarisch zu verarbeiten. Auch mit Humor, einer bewährten Überlebensstrategie.
Auf der Innenseite des Buchdeckels gibt Faktor Vorschläge für Rezensenten und fragt: »Kann es gut gehen, wenn einer ein höchst albernes Buch über den Tod seines eigenen Sohnes zusammenstoppelt?« Ja, es kann.
Jan Faktor: »Trottel«. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022, 397 S., 24 €