Literatur

»Deutsche Leser wollen uns hören«

Bei der Preisverleihung der Buchmesse in der Kategorie Übersetzung: Amos Oz und Mirjam Pressler Foto: dpa

Ein literarisches Werk in eine andere Sprache zu übersetzen, ist wie ein Violinkonzert auf dem Klavier zu spielen», sagte der israelische Schriftsteller Amos Oz – und nahm Mirjam Pressler, die er als «Pianistin» bezeichnete, demonstrativ in den Arm.

Die Verleihung des Übersetzerpreises der Leipziger Buchmesse an die 1940 geborene Autorin für ihre Übertragung von Oz’ neuem Roman Judas am vergangenen Donnerstag auf dem Blauen Sofa war ein erster Höhepunkt des viertägigen Buchfestivals in der Messestadt. Der Beifall für die 74-Jährige fiel warm und herzlich aus – stärker als der Applaus für den Lyriker Jan Wagner und den Zeithistoriker Philipp Ther, die mit den Hauptpreisen der Leipziger Buchmesse für Belletristik und Sachbuch ausgezeichnet wurden.

Mirjam Pressler freute sich sichtlich über die Anerkennung: Die bekannte Autorin von Romanen und Kinderbüchern hat mehr als 300 Bücher aus dem Hebräischen, Englischen und Niederländischen übersetzt, unter anderem von Aharon Appelfeld, Zeruya Shalev und John Steinbeck. «Mit kunstvoller Zurückhaltung trifft Mirjam Pressler den Ton dieses großen Erzählers (Amos Oz) und macht seine schroffe Wärme auch auf Deutsch spürbar», begründete die Jury ihre Entscheidung.

Stammgäste Zwar sind Schriftsteller aus Israel schon seit Jahren gefragte Stammgäste in Leipzig – nicht nur am Stand der israelischen Botschaft. Doch im 50. Jahr der deutsch-israelischen Beziehungen und mit Israel als Gastland standen jüdische und israelische Themen ganz dezidiert im Vordergrund. Was die Teilnehmerzahlen insgesamt angeht, war es auch diesmal ein Rekordjahr: 251.000 Menschen besuchten 2015 die Buchmesse und die 3200 Veranstaltungen von «Leipzig liest».

Zur Langen Nacht der deutsch-israelischen Literatur, passend zum Schwerpunktthema der Messe anlässlich des 50. Jubiläums des Botschafteraustauschs zwischen der Bundesrepublik und Israel, kamen Yakov Hadas-Handelsman, Botschafter des Staates Israel in Deutschland, und viele israelische und jüdische Schriftsteller. Gäste waren unter anderem Meir Shalev, Dan Diner, Lizzie Doron, Gila Lustiger und Avi Primor.

Gleichzeitig wurde im «Club Tel Aviv» im Schauspiel Leipzig, organisiert von der israelischen Botschaft, dem Club Bertelsmann und der Zeitung «Die Welt», gelesen und zur Musik eines deutsch-israelischen DJ-Teams gefeiert.

Tanzen
Amichai Shalev, Co-Herausgeber und Autor der Anthologie Wir vergessen nicht, wir gehen tanzen – Israelische und deutsche Autoren schreiben über das andere Land (Fischer), der an dem Event teilnahm, sagte der Jüdischen Allgemeinen: «Ich habe nicht bis zum frühen Morgen getanzt, ich war zu müde. Aber fünf Minuten lang habe ich getanzt, für eine Fernsehreporterin.» Die intensiven Gespräche auf der Messe mit den Besuchern hätten ihn sehr beeindruckt, so der Israeli: «Deutsche Leser aller Altersgruppen wollten hören, was wir zu sagen haben.»

Vier Tage lang waren Shalev und andere jüdische und israelische Autoren in den Hallen und an einigen der 410 Leseorten präsent. Insgesamt 40 Autoren aus beiden Ländern traten in 74 Veranstaltungen im Rahmen des deutsch-israelischen Messeschwerpunkts auf. Der Belgier Philippe Smolarski las in der Bar «Schlechtes Versteck» aus seinem Roman Fayvel der Chinese, der seinen Helden aus Shanghai mitten ins Warschauer Ghetto führt.

Auch Sibylle Berg stellte ein neues Buch vor: Der Tag, als meine Frau einen Mann fand (Hanser). Für ihre Arbeit fand die gebürtige Weimarerin profane Worte. Sie glaube nicht, dass ihre Romane einmal Klassiker würden, sagte sie während der Messe im ZDF: «Die Bücher, die wir heute als Klassiker verehren, haben vor allem überlebt, weil es weniger Bücher gab – und kein Internet.» Sie selbst schreibe, «weil ich einfach gerne Quatsch erzähle. Ich drücke mich gern aus – und ich arbeite einfach nicht so gern.»

Verlage Alle wichtigen Verlage waren in Leipzig wieder präsent. 2263 Aussteller zeigten ihre Neuerscheinungen. Wer etwa bei Schöffling vorbeischaute, begegnete dem neuesten Band mit Storys der New Yorker Autorin Grace Paley, einer Tochter russisch-jüdischer Einwanderer.

Am Stand der Ullstein-Verlage standen die Erinnerungen von Marcel Ophüls an seinen Vater im Mittelpunkt: ein fesselndes Kapitel der Filmgeschichte des 20. Jahrhunderts und ein deutsch-jüdisches Familienschicksal. Daneben fand die kleine Streitschrift des philosophischen Enfant terrible Slavoj Žižek, Blasphemische Gedanken. Islam und Moderne, Beachtung. Der Autor erklärt die Unterschiede der drei Buchreligionen mit den Theorien von Freud und Lacan.

Weiter zum Stand der Verlagsgruppe Suhrkamp-Insel. Hier fiel das Buch von Hans Blumenberg auf: Moses der Ägypter, das auch weitere Texte des Philosophen zu Freud und Hannah Arendt enthält. Oder der Band Mein Israel, in dem Juden und Moslems, arabische Israelis und christliche Palästinenser ihre Geschichten erzählen.

Mischna Zur Suhrkamp-Insel-Gruppe gehört auch der Verlag der Weltreligionen, in dem in Kürze die von Michael Krupp besorgte Neuübersetzung der fünften Ordnung Heiligkeiten – Seder Qodashim der mündlichen Tora, in diesem Fall der Mischna, erscheinen wird. Der Übersetzer und Herausgeber ist Dozent für Rabbinische Literatur und Frühes Christentum an der Hebräischen Universität Jerusalem.

Am Stand von Piper wurde das hübsche Bändchen Die jungen Leute mit drei frühen Storys von J. D. Salinger von der angesprochenen Altersgruppe umlagert, natürlich auch die neue Romanbiografie Oona und Salinger von Frédéric Beigbeder. Während Salinger, Sohn eines jüdischen Vaters, seine große Liebe nie vergessen wird, verlässt ihn Oona, um Charlie Chaplin zu heiraten. Auch die Ausstellung der Leipziger Buchwissenschaft zu hebräischer Buchkunst und jüdischer Literatur in der DDR unter dem Titel «Jüdisches Allerlei» fand Beachtung.

FAvoriten Bei den Preisen der Messe gab es übrigens einen weiteren jüdischen Favoriten: Moshe Kahn mit seiner Übertragung des bei S. Fischer erschienenen italienischen Großromans Horcynus Orca von Stefano D’Arrigo.

Die Entscheidung für Mirjam Pressler begründete die Jury mit dem übersetzten Werk Judas: Amos Oz erzählt darin eine Dreiecksgeschichte in Jerusalem im Winter 1959/60, gut ein Jahrzehnt nach der Staatsgründung Israels. Die Auszeichnung ist aber auch als Würdigung von Presslers Lebenswerk zu verstehen – und sie passte perfekt zum Messeschwerpunkt «1965 bis 2015. Deutschland – Israel».

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