Als der schwedische Filmkritiker Jan Lumholdt 2013 bei einer Pressekonferenz in Cannes zu dieser Frage ansetzte, da war ihm eigentlich schon klar, welche Antwort er bekommen würde. Denn Jerry Lewis nach seinem unter Verschluss gehaltenen Holocaust-Film The Day the Clown Cried zu befragen, hat bislang eigentlich nie befriedigende Antworten aus dem Munde des Komikers gebracht.
Diesmal aber nannte Lewis wenigstens den Grund, weshalb sein Film, den er 1971 in Schweden gedreht hatte, niemals veröffentlicht wurde. »Er war einfach sehr schlecht, viel zu schlecht. Ich habe damals die Kurve nicht gekriegt. Der Film soll am liebsten überhaupt niemals gezeigt werden, weil ich ihn für so missraten halte.« Lewis sagte das mit Nachdruck, es klang sehr energisch.
einblicke Tatsache ist aber, dass Lewis, der am 16. März 90 Jahre alt wird, sein gesamtes Filmerbe bereits vergangenen Sommer der Library of Congress, einer öffentlichen Forschungsbibliothek in den USA, vermacht hat, mit der Auflage, The Day the Clown Cried keinesfalls vor und frühestens ab 2024 zur Aufführung zu bringen.
Doch jetzt hat die BBC mit der Dokumentation The Story of the Day the Clown Cried erstmals Ausschnitte und jede Menge Set-Fotografien aus dieser kreativen Altlast von Jerry Lewis veröffentlicht, in der einige Hintergründe zu dem damals in Schweden gedrehten Material aufgeschlüsselt werden. Lewis verschwand nach dem Dreh mit sämtlichen Filmrollen wieder in die USA, wo er sie bis zur Überantwortung an die Library of Congress gehortet hat.
In der nun vorgestellten Dokumentation ist Lewis mit roter Clownnase und weißem Clown-Make-up vor den Kulissen von KZ-Baracken zu sehen. Für Lewis war der Film »die Geschichte eines Clowns, dessen bessere Tage hinter ihm liegen. Im Laufe des Films werden Dinge passieren, die ihn ermahnen, dass es Wichtigeres gibt als ihn selbst«. So kommentierte der Komiker und Schauspieler in alten Aufnahmen das Projekt, noch ehe er es verschwinden ließ. Markantestes Bild damals für die Presse war jene Szene, in der Lewis eine seiner typischen Grimassen zieht, dies aber hinter Stacheldraht tut und seine Nase anscheinend aufgespießt wird.
komödie? Dass Lewis als Clown im KZ Späße machen sollte, ist Teil der Handlung, jedoch ist nicht wirklich bekannt, ob es sich bei The Day the Clown Cried um eine Komödie oder vielleicht doch eher um ein Drama gehandelt hat. Immerhin ist spätestens seit seiner Mitwirkung in Martin Scorseses The King of Comedy mit Robert De Niro (1983) klar, dass Lewis bei Bedarf auch sehr ernste Rollen spielen kann, obwohl er letztlich nur als Komiker Karriere machte.
Die Frage, ob man über den Holocaust lachen darf, hat sich damals aber jedenfalls bereits gestellt. Ein Umstand, der sich später etliche Male wiederholte, etwa im Fall von Roberto Benignis oscargekröntem Film Das Leben ist schön (1997). Darin gaukelt ein Vater seinem kleinen Sohn im KZ vor, dass der grausame Alltag dort letztlich nur ein Spiel ist. Lewis ist in seinem Film, den er als Produzent, Regisseur und Hauptdarsteller in Personalunion verantwortet hatte, sogar noch einen bedeutenden Schritt weiter gegangen und hätte als Clown den Kindern auf dem Weg zur Gaskammer ein letztes Lächeln ins Gesicht gezaubert. Zugegeben: ein schwer vorstellbarer Film – und vielleicht auch deshalb ein unvollendeter.
Der britische Comedian David Schneider, dessen Eltern Überlebende des Holocaust waren, führt durch die BBC-Dokumentation über Jerry Lewis’ Film. Er macht sich deutlich dafür stark, die Komödie als Ventil für innere Seelenqualen zu nutzen. Gerade als jüdischer Komiker müsse man sich damit besonders intensiv auseinandersetzen, so Schneider. »Die Komödie ist unser Sicherheitsnetz«, hat Lewis damals über den Film gesagt. »Ohne sie würden wir uns alle in Luft auflösen.«
entsetzen Dennoch wollte Lewis bis 2013 auf jeden Fall verhindern, dass der Film gezeigt wird. »Niemand wird diesen Film je sehen«, sagte er damals auf der Pressekonferenz in Cannes. »Ich schäme mich für den Film. Er ist schlecht, schlecht, schlecht.« Auch Mitarbeiter von Lewis, die Teile oder einige Szenen aus dem Film vorgeführt bekamen, äußerten sich entsetzt. Joan O’Brien, Mitverfasserin des Drehbuchs von The Day the Clown Cried, sagte in einem Zeitungsinterview 1992: »Es war einfach fürchterlich! Allein an diesen Film zu denken, setzt mir sehr zu.« Der Schauspieler Harry Shearer kam zu dem Schluss: »Der Film ist so drastisch daneben, sein Pathos und seine Komik sind derart deplatziert, dass einem nur mehr zu sagen bleibt: Oh my God!«
Am Ende wird Jerry Lewis’ Film aber doch noch gezeigt werden. Allerdings wird das Werk wohl immer ein Nischenprogramm bleiben. Denn wenn der Film ab 2024 in der Library of Congress zu sehen sein wird, dann heißt das nicht automatisch, dass eine DVD davon in den Handel kommt. Lewis hat testamentarisch verfügt, dass die Rechte bei seinen Erben bleiben – sie müssten demnach einer Veröffentlichung zustimmen, was extrem unwahrscheinlich ist.
Wahre Lewis-Fans müssten dann die Reise zur Library of Congress antreten, dem einzigen Ort, an dem der Film gezeigt werden dürfte. Dort gibt es ein Kino mit 205 Sitzen, aber der Campus liegt in Culpeper, Virginia. Weit genug weg also, damit nicht allzu viele Filmfans mitbekommen, wofür Jerry Lewis sich so lange geschämt hat.