Ottos Tod traf mitten ins Herz. Er wurde 91 Jahre alt und hat ein Jahrhundertleben gelebt. Zusammen mit seiner Frau Vera war Otto R. Romberg 50 Jahre lang Herausgeber und Redakteur der »Tribüne – Zeitschrift zum Verständnis des Judentums«. Zehn Jahre davon war ich ihre Mitarbeiterin. »Die Rombergs« teilten ihr Wissen, öffneten Wege zu Projekten, wir sprachen über Filme, Literatur, Politik, Israel, die Liebe und ihr Überleben während der Schoa.
Otto Romberg wurde 1932 als Otto Roboz in Budapest geboren. Seine Eltern schickten ihn auf ein christliches Internat, da sie dachten, dies sei ein Schutzraum gegen die antijüdischen Gesetze Ungarns und die Allianz mit Nazi-Deutschland. Wenige Tage nach dem Einmarsch der Deutschen am 17. März 1944 holte sein Vater ihn aus dem Internat ab und klärte ihn auf, dass sie Juden waren.
»Damit war meine Kindheit zu Ende.«
Otto sah, wie die SS einen Onkel auf offener Straße erschoss: »Damit war meine Kindheit zu Ende.« Er und seine Mutter mussten in ein »Judenhaus«, der patriotische Vater musste in den »Arbeitsdienst« und wurde deportiert. Dass er Anfang 1945 im KZ Bergen-Belsen umkam, erfuhr Otto erst 65 Jahre nach dem letzten Wiedersehen mit dem Vater.
Im Oktober 1944 übernahmen die faschistischen Pfeilkreuzler die Macht. Otto und seine Mutter wurden mit vielen anderen zu einer Ziegelfabrik außerhalb Budapests getrieben, in Viehwaggons gepfercht – und in letzter Minute durch die Intervention des schwedischen Diplomaten Raoul Wallenberg gerettet. Zurück im Ghetto, schmuggelte Otto unter Lebensgefahr Essen in das abgeriegelte Viertel. Im Januar 1945 befreite die Rote Armee Budapest.
Otto Roboz wurde Journalist, während des Militärdiensts wegen »antikommunistischer Tätigkeit« angeklagt, zum Tode verurteilt und Ende Oktober 1956 nach drei Jahren Gefängnis amnestiert. Als stellvertretender Kommandant von Buda nahm er am Ungarischen Volksaufstand teil. Als russische Panzer die Hoffnung auf Demokratie zermalmten, floh er Ende 1956 nach Wien, holte seine Mutter nach – und wurde in Ungarn in Abwesenheit erneut zum Tode verurteilt.
In Wien lernte er seine spätere Frau Vera kennen, arbeitete wieder als Journalist und benannte sich um in Otto R. Romberg. Das Ehepaar zog nach Köln, und Otto wurde Korrespondent für österreichische Zeitungen.
Anfang der 60er-Jahre zogen die Rombergs nach Frankfurt, gründeten die Zeitschrift »Tribüne« und stürzten sich fast ins finanzielle Unglück. Dann wurde das streitlustige kritische Blatt anzeigenfinanziert und unabhängig. Die Autorenliste war beeindruckend, und Otto Romberg konnte jeden um ein Interview bitten, fragte: Wer unternimmt was zur Befriedung der Gesellschaft, gegen Antisemitismus? Was ist die größte Gefahr für die Demokratie?
1996 erhielt die »Tribüne« den Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden
1996 erhielt die »Tribüne« den Leo-Baeck-Preis des Zentralrats der Juden in Deutschland. Dessen Vorsitzender Ignatz Bubis sagte in der Laudatio: »Die ›Tribüne‹ hat keine Kontroversen gescheut, wenn es darum ging, der Wahrheit die Ehre zu geben und diejenigen in ihre Schranken zu verweisen, die sich als Verharmloser und Schlussstrichzieher hervortun wollten.«
Zum 50. Jubiläum der Zeitschrift 2012 gab es einen Festakt, doch wenige Monate später stellte die Zeitschrift das Erscheinen ein, weil die Anzeigenkunden absprangen. 2022 sagte Otto R. Romberg zu mir: »Schau dich um, Susanne, es war vergeblich.« Er starb am 29. Dezember in Frankfurt am Main. Otto, es war nicht vergeblich. Du hast viele Menschen beeindruckt und beeinflusst.