Manche Menschen erfahren erst auf recht unkonventionelle Art und Weise, dass sie Juden sind. »In meinem Fall war es ein Graffito vor unserem Haus«, sagt der 1952 in Algier geborene Pierre Rehov. Das ist nicht sein richtiger Name, sondern das Pseudonym, unter dem er als Regisseur, Journalist und Buchautor arbeitet.
»Ich war ungefähr sieben Jahre alt, als jemand dort folgende drei Sätze auf Arabisch hingesprayt hatte: ›Die Araber in die Burg, die Franzosen aufs Schiff und die Juden zur Exekution‹.« Pierre Rehov war geschockt. Dabei entstammte er einer Familie von Akademikern, in der das Judentum selbst schon längst keine große Rolle mehr gespielt hatte. »Auch wenn ein Großvater Rabbiner war.«
Damals herrschte in Algerien Krieg, die marxistisch-nationalistische FLN wollte die französische Kolonialherrschaft abschütteln. Das konnte man ja noch irgendwie nachvollziehen, meint der Regisseur. »Warum aber Juden, die seit vielen Jahrhunderten in dem nordafrikanischen Land lebten, nun ermordet werden sollten, das wollte mir nicht in den Kopf gehen.«
MYTHOS 1961 bereits wanderte Rehov wie so viele andere algerische Juden mit seiner Familie nach Frankreich aus, von wo es ihn aber aufgrund des wachsenden Antisemitismus 2008 in die Vereinigten Staaten verschlug. 2011 machte er Alija und lebt jetzt in Tel Aviv. »Das Schicksal der Juden in der arabischen Welt hat mich seither nicht mehr losgelassen«, sagt er. Und weil Rehov in seiner Jugend einmal Filmwissenschaft studiert hatte und in späteren Jahren als Journalist zu arbeiten anfing, begann er, beides zu kombinieren und Dokumentarfilme zu produzieren.
Anlass dafür, diesen Schritt zu wagen, war für ihn der Film Jenin, Jenin des palästinensischen Regisseurs Mohammed Bakri, der den Mythos eines von der israelischen Armee 2002 angeblich in der Stadt Jenin verursachten Massakers an über 500 Menschen kultiviert.
Sein Film entstand als Reaktion auf »Jenin, Jenin« des palästinensischen Regisseurs Mohammed Bakri.
»Nicht nur diese Lüge verbreitete er. Jenin, Jenin enthält auch zahlreiche antisemitische Aussagen.« Als Reaktion darauf entstand sein erstes Werk, The Road to Jenin. »Darin versuche ich, ein Narrativ aufzubauen, das der Realität weitestgehend nahekommt und Bakris Film als das propagandistische Lügenwerk entlarvt, das es ist.«
2004 dreht er dann The Silent Exodus, einen Film, der die Vertreibung der Juden aus Nordafrika und dem Nahen Osten thematisiert. Genau dieser wurde am vergangenen Donnerstag unter Mitwirkung der israelischen Botschaft im Kino Babylon in Berlin-Mitte gezeigt.
GEDENKTAG »Eigentlicher Anlass – wenn auch mit ein wenig Verspätung – ist der Tag zum Gedenken an die jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Staaten und dem Iran, der seit 2014 jedes Jahr am 30. November in Israel begangen wird«, erklärt Rogel Rachman, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Botschaft. »Über 850.000 Menschen wurden damals vertrieben, und Gemeinden wie die in Bagdad, die eine Geschichte von mehreren Tausend Jahren hatten, verschwanden in kürzester Zeit.«
Doch im Unterschied zu den palästinensischen Flüchtlingen, um deren Schicksal sich sogar ein eigenes Hilfswerk der Vereinten Nationen kümmert, erhielten die Juden aus Marokko, Libyen oder dem Irak und dem Jemen nicht die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, geschweige denn finanzielle Mittel von der internationalen Gemeinschaft, um ihr Los zu verbessern. »Genau das will ich mit meinem Film ändern«, betont Pierre Rehov. »Dabei geht es auch um den Mythos, dass Juden und Muslime über Jahrhunderte in perfekter Harmonie zusammengelebt hätten.«
Über 850.000 Menschen
wurden damals vertrieben.
Uralte Gemeinden wie die in Bagdad verschwanden in kürzester Zeit.
Bei dem Thema »Vertreibung von Juden aus den arabischen Ländern« könne man deshalb durchaus von einer ethnischen Säuberung gigantischen Ausmaßes reden, die, wie es Richard Holbrooke, ehemaliger US-Botschafter bei der UNO, einmal formuliert hatte, einfach »unter den persischen Teppich gekehrt wurde«.
Allein ein Blick auf die Bevölkerungsstatistik sollte reichen, um das zu verstehen. »Heute leben in der ganzen arabischen Welt vielleicht nur noch maximal 5000 Juden«, sagt Pierre Rehov. Die Geschichte seiner Familie stehe exemplarisch für diese Entwicklung.