Kino

Der verdrängte Exodus

Pierre Rehov zeigt in seinem Film das Schicksal der vertriebenen orientalischen Juden. Es ist auch seine Geschichte

von Ralf Balke  14.02.2019 12:47 Uhr

Regisseur und Autor Pierre Rehov Foto: Rolf Walter/xpress.berlin

Pierre Rehov zeigt in seinem Film das Schicksal der vertriebenen orientalischen Juden. Es ist auch seine Geschichte

von Ralf Balke  14.02.2019 12:47 Uhr

Manche Menschen erfahren erst auf recht unkonventionelle Art und Weise, dass sie Juden sind. »In meinem Fall war es ein Graffito vor unserem Haus«, sagt der 1952 in Algier geborene Pierre Rehov. Das ist nicht sein richtiger Name, sondern das Pseudonym, unter dem er als Regisseur, Journalist und Buchautor arbeitet.

»Ich war ungefähr sieben Jahre alt, als jemand dort folgende drei Sätze auf Arabisch hingesprayt hatte: ›Die Araber in die Burg, die Franzosen aufs Schiff und die Juden zur Exekution‹.« Pierre Rehov war geschockt. Dabei entstammte er einer Familie von Akademikern, in der das Judentum selbst schon längst keine große Rolle mehr gespielt hatte. »Auch wenn ein Großvater Rabbiner war.«

Damals herrschte in Algerien Krieg, die marxistisch-nationalistische FLN wollte die französische Kolonialherrschaft abschütteln. Das konnte man ja noch irgendwie nachvollziehen, meint der Regisseur. »Warum aber Juden, die seit vielen Jahrhunderten in dem nordafrikanischen Land lebten, nun ermordet werden sollten, das wollte mir nicht in den Kopf gehen.«

MYTHOS 1961 bereits wanderte Rehov wie so viele andere algerische Juden mit seiner Familie nach Frankreich aus, von wo es ihn aber aufgrund des wachsenden Antisemitismus 2008 in die Vereinigten Staaten verschlug. 2011 machte er Alija und lebt jetzt in Tel Aviv. »Das Schicksal der Juden in der arabischen Welt hat mich seither nicht mehr losgelassen«, sagt er. Und weil Rehov in seiner Jugend einmal Filmwissenschaft studiert hatte und in späteren Jahren als Journalist zu arbeiten anfing, begann er, beides zu kombinieren und Dokumentarfilme zu produzieren.

Anlass dafür, diesen Schritt zu wagen, war für ihn der Film Jenin, Jenin des palästinensischen Regisseurs Mohammed Bakri, der den Mythos eines von der israelischen Armee 2002 angeblich in der Stadt Jenin verursachten Massakers an über 500 Menschen kultiviert.

Sein Film entstand als Reaktion auf »Jenin, Jenin« des palästinensischen Regisseurs Mohammed Bakri.

»Nicht nur diese Lüge verbreitete er. Jenin, Jenin enthält auch zahlreiche antisemitische Aussagen.« Als Reaktion darauf entstand sein erstes Werk, The Road to Jenin. »Darin versuche ich, ein Narrativ aufzubauen, das der Realität weitestgehend nahekommt und Bakris Film als das propagandistische Lügenwerk entlarvt, das es ist.«

2004 dreht er dann The Silent Exodus, einen Film, der die Vertreibung der Juden aus Nordafrika und dem Nahen Osten thematisiert. Genau dieser wurde am vergangenen Donnerstag unter Mitwirkung der israelischen Botschaft im Kino Babylon in Berlin-Mitte gezeigt.

Die israelische Botschaft in Berlin zeigte im Berliner Kino Babylon den Film »The Silent Exodus« des französichen Regisseurs Pierre Rehov.Foto: Rolf Walter/xpress.berlin

GEDENKTAG »Eigentlicher Anlass – wenn auch mit ein wenig Verspätung – ist der Tag zum Gedenken an die jüdischen Flüchtlinge aus arabischen Staaten und dem Iran, der seit 2014 jedes Jahr am 30. November in Israel begangen wird«, erklärt Rogel Rachman, Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Botschaft. »Über 850.000 Menschen wurden damals vertrieben, und Gemeinden wie die in Bagdad, die eine Geschichte von mehreren Tausend Jahren hatten, verschwanden in kürzester Zeit.«

Doch im Unterschied zu den palästinensischen Flüchtlingen, um deren Schicksal sich sogar ein eigenes Hilfswerk der Vereinten Nationen kümmert, erhielten die Juden aus Marokko, Libyen oder dem Irak und dem Jemen nicht die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit, geschweige denn finanzielle Mittel von der internationalen Gemeinschaft, um ihr Los zu verbessern. »Genau das will ich mit meinem Film ändern«, betont Pierre Rehov. »Dabei geht es auch um den Mythos, dass Juden und Muslime über Jahrhunderte in perfekter Harmonie zusammengelebt hätten.«

Über 850.000 Menschen
wurden damals vertrieben.
Uralte Gemeinden wie die in Bagdad verschwanden in kürzester Zeit.

Bei dem Thema »Vertreibung von Juden aus den arabischen Ländern« könne man deshalb durchaus von einer ethnischen Säuberung gigantischen Ausmaßes reden, die, wie es Richard Holbrooke, ehemaliger US-Botschafter bei der UNO, einmal formuliert hatte, einfach »unter den persischen Teppich gekehrt wurde«.

Allein ein Blick auf die Bevölkerungsstatistik sollte reichen, um das zu verstehen. »Heute leben in der ganzen arabischen Welt vielleicht nur noch maximal 5000 Juden«, sagt Pierre Rehov. Die Geschichte seiner Familie stehe exemplarisch für diese Entwicklung.

Malerei

First Ladys der Abstraktion

Das Museum Reinhard Ernst in Wiesbaden zeigt farbenfrohe Bilder jüdischer Künstlerinnen

von Dorothee Baer-Bogenschütz  14.01.2025

Leipzig

»War is over« im Capa-Haus

Das Capa-Haus war nach jahrzehntelangem Verfall durch eine bürgerschaftliche Initiative wiederentdeckt und saniert worden

 14.01.2025

Debatte

»Zur freien Rede gehört auch, die Argumente zu hören, die man für falsch hält«

In einem Meinungsstück in der »Welt« machte Elon Musk Wahlwerbung für die AfD. Jetzt meldet sich der Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner zu Wort

von Anna Ringle  13.01.2025

Krefeld

Gütliche Einigung über Campendonk-Gemälde

An der Einigung waren den Angaben nach die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Claudia Roth (Grüne), das Land NRW und die Kulturstiftung der Länder beteiligt

 13.01.2025

TV

Handgefertigte Erinnerung: Arte widmet Stolpersteinen eine Doku

Mehr als 100.000 Stolpersteine erinnern in 30 Ländern Europas an das Schicksal verfolgter Menschen im Zweiten Weltkrieg. Mit Entstehung und Zukunft des Kunstprojektes sowie dessen Hürden befasst sich ein Dokumentarfilm

von Wolfgang Wittenburg  13.01.2025

Mascha Kaléko

Großstadtdichterin mit sprühendem Witz

In den 20er-Jahren war Mascha Kaléko ein Star in Berlin. Die Nazis trieben sie ins Exil. Rund um ihren 50. Todestag erleben die Werke der jüdischen Dichterin eine Renaissance

von Christoph Arens  13.01.2025

Film

»Dude, wir sind Juden in einem Zug in Polen«

Bei den Oscar-Nominierungen darf man mit »A Real Pain« rechnen: Es handelt sich um eine Tragikomödie über das Erbe des Holocaust. Jesse Eisenberg und Kieran Culkin laufen zur Höchstform auf

von Lisa Forster  13.01.2025

Sehen!

»Shikun«

In Amos Gitais neuem Film bebt der geschichtsträchtige Beton zwischen gestern und heute

von Jens Balkenborg  12.01.2025

Omanut Zwillenberg-Förderpreis

Elianna Renner erhält Auszeichnung für jüdische Kunst

Die Schweizerin wird für ihre intensive Auseinandersetzung mit Geschichte, Biografie und Politik geehrt

 12.01.2025