Wissen

»Der unsichtbare Philosoph«

»Als Blumenberg noch lebte, hätte man denken können, er sei bereits tot; und nachdem er tot ist, könnte man vermuten, er lebe noch«: Hans Blumenberg (1920-1996) Foto: Peter Zollna/Suhrkamp

Der Titel eines soeben erschienenen Films zum 100. Geburtstag von Hans Blumenberg lautet »Der Unsichtbare Philosoph«. Und Franz Josef Wetz beginnt seine Einführung in das Werk mit der Feststellung: »Als Blumenberg noch lebte, hätte man denken können, er sei bereits tot; und nachdem er tot ist, könnte man vermuten, er lebe noch.«

Tatsächlich entzog sich der heute vor 100 Jahren am 13. Juli 1920 in Lübeck geborene Philosoph eher der öffentlichen Debatte - und das zu einer Zeit, wo Kollegen wie Theodor W. Adorno oder Jean Paul Sartre zu philosophischen Medienstars avancierten.

UNIVERSUM Doch Blumenbergs Thema war nicht die politische Philosophie, nicht Revolution und Emanzipation, sondern die Geistesgeschichte bis hin zur Frage nach den Überlebensbedingungen des Humanum in einem metaphysisch erkalteten Universum.

Aus Angst vor Demütigungen durch die Nazis verzichtete er 1939 bei der Abiturfeier auf sein Recht, als Jahrgangsbester die Abschlussrede zu halten.

Trotz der geistigen Höhenwanderungen waren seine Freitagsvorlesungen im Hörsaal VIII. des Münsteraner Schloßes auch für Nichtphilosophen ein Anziehungspunkt. Der Schriftsteller Uwe Wolff erinnert sich an die Vorlesungen mit einer »Aura aus Messe und Happening, in der sich Weihe und Witz zu höherer Heiterkeit verbanden«.

Blumenberg hob erst bei absoluter Stille an - »so wurde das Klicken der Aufnahmetaste des Kassettenrekorders von Thomas Sternberg hörbar« - dem heutigen Präsidenten des Zentralkomitees der Katholiken -; und ebenso regelmäßig entschwand er schon beim letzten Wort.

»PROBLEMKRIMIS« Nach seiner Emeritierung 1985 mied er gänzlich die Öffentlichkeit, um sich im westfälischen Altenberge bei Münster dem Verfassen ebenso umfangreicher wie gedankenschwerer Werke zu widmen, die selbst bei versierten Lesern bisweilen zu Atemnot führen konnten. »Als gelehrte Wälzer getarnte Problemkrimis«, bezeichnete sie Odo Marquard.

Wetz sieht hinter der ungeheuren Produktivität im Alter auch den inneren Druck Blumenbergs, die verlorenen Jahre unter der Nazizeit wettzumachen. Der älteste Sohn aus dem Haus des Lübecker Kunstverlegers Josef Carl Blumenberg galt aufgrund seiner jüdischen Mutter bei den Nazis als »Halbjude«.

Nach kurzer Internierung im KZ kam Blumenberg frei und versteckte sich bei der Familie seiner Frau Ursula Heinck, die er 1944 geheiratet hatte.

In Lübeck besuchte er wie seinerzeit Thomas Mann das berühmte Katharineum. Doch aus Angst vor Demütigungen durch die Nazis verzichtete er 1939 bei der Abiturfeier auf sein Recht, als Jahrgangsbester die Abschlussrede zu halten.

SPIRITUELL Prägend soll sich auf den Jugendlichen die spirituelle Begleitung des NS-kritischen Kaplans Johannes Prassek ausgewirkt haben. Ein Theologiestudium in Osnabrück und Frankfurt-Sankt-Georgen musste Blumenberg aber aufgrund seiner jüdischen Herkunft abbrechen.

Externer Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt, der den Artikel anreichert. Wir benötigen Ihre Zustimmung, bevor Sie Inhalte von Sozialen Netzwerken ansehen und mit diesen interagieren können.

Mit dem Betätigen der Schaltfläche erklären Sie sich damit einverstanden, dass Ihnen Inhalte aus Sozialen Netzwerken angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittanbieter übermittelt werden. Dazu ist ggf. die Speicherung von Cookies auf Ihrem Gerät nötig. Mehr Informationen finden Sie hier.

Stattdessen wurde er zum Arbeitsdienst in den Lübecker Drägerwerke eingezogen. Dank Heinrich Dräger konnte er nach kurzer Internierung im KZ Zerbst wieder freikommen und versteckte sich bei der Familie seiner Frau Ursula Heinck, die er 1944 geheiratet hatte.

Nach dem Studium der Philosophie, Germanistik und klassischen Philosophie in Hamburg folgte die Promotion in Kiel und 1960 die Berufung zum ordentlicher Professor nach Gießen. Zum runden Jubiläum erscheint die Dissertation von 1947 nun erstmals in Buchform: »Beiträge zum Problem der Ursprünglichkeit der mittelalterlich-scholastischen Ontologie«.

Hier klingt ein Kernthese an, die Blumenberg in »Die Legitimität der Neuzeit« entfaltet: In der neuzeitlichen Selbstbehauptung der Vernunft sieht Blumenberg eine Antwort auf eine ins absolutistische übersteigerte Willkür Gottes im späten Mittelalter. In der »Kopernikanischen Welt« folgt dann die Beherrschung der entgöttlichten Natur durch Wissenschaft und Technik.

SINN Doch bleibt die Neuzeit für Blumenberg bei aller Legitimität zweideutig. Die Errungenschaft einer Entlastung vom Absoluten ist immer auch eine Verlustgeschichte: Denn alle Deutungssysteme, mythischen Erzählungen oder religiösen Welterklärungsmodelle sind für ihn Wege, die rücksichtslose Übermacht einer sinnentleerten und unbegreiflichen Wirklichkeit zu bewältigen. So entwirft der Mensch Sinnwelten, um im Unheimlichen zumindest vorübergehend heimisch zu werden.

Seine erschütternde Abrechnung mit dem Christentum in der »Matthäuspassion« von 1988 kann auch als Aufschrei dessen gelesen werden, der um die Größe des Verlustes wusste.

Dabei interessiert sich Blumenberg besonders für jene sprachlichen Bilder, die der Mensch nutzt, um das begreiflich zu machen, was sich einem vollständigen Zugriff der Vernunft entzieht: Metaphern. Für ihn gehören dazu etwa »absolute Metaphern« wie »Ich«, »Welt«, »Geschichte«, »Zeit«.

VERLUST Auch wenn die theologischen und metaphysischen Deutungsmuster für Blumenberg offenbar ihre Verbindlichkeit und Plausibilität eingebüßt hatten, so zeugt die fast manische Beschäftigung mit der abendländischen Geistes- und Religionsgeschichte von einer anhaltenden Faszination. Seine erschütternde Abrechnung mit dem Christentum in der »Matthäuspassion« von 1988 kann auch als Aufschrei dessen gelesen werden, der um die Größe des Verlustes wusste.

Bis zu seinem Tod am 28. März 1996 blieb Blumenberg Mitglied der katholischen Kirche, ließ sich aber ohne kirchlichen Beistand bestatten. Für die Theologie bleibt der jüdisch-christliche Denker ein ebenso herausfordernder wie anregender Gesprächspartner - sein Werk wird bleiben.

Meinung

Nur scheinbar ausgewogen

Die Berichte der Öffentlich-Rechtlichen über den Nahostkonflikt wie die von Sophie von der Tann sind oft einseitig und befördern ein falsches Bild von Israel

von Sarah Maria Sander  21.04.2025

Sehen!

»Die Passagierin«

Am Deutschen Nationaltheater in Weimar ist eine der intelligentesten Nachinszenierungen von Mieczyslaw Weinbergs Oper zu sehen

von Joachim Lange  21.04.2025

Aufgegabelt

Mazze-Sandwich-Eis

Rezepte und Leckeres

 18.04.2025

Pro & Contra

Ist ein Handyverbot der richtige Weg?

Tel Aviv verbannt Smartphones aus den Grundschulen. Eine gute Entscheidung? Zwei Meinungen zur Debatte

von Sabine Brandes, Sima Purits  18.04.2025

Literatur

Schon 100 Jahre aktuell: Tucholskys »Zentrale«

Dass jemand einen Text schreibt, der 100 Jahre später noch genauso relevant ist wie zu seiner Entstehungszeit, kommt nicht allzu oft vor

von Christoph Driessen  18.04.2025

Kulturkolumne

Als Maulwurf gegen die Rechthaberitis

Von meinen Pessach-Oster-Vorsätzen

von Maria Ossowski  18.04.2025

Ausstellung

Das pralle prosaische Leben

Wie Moishe Shagal aus Ljosna bei Witebsk zur Weltmarke Marc Chagall wurde. In Düsseldorf ist das grandiose Frühwerk des Jahrhundertkünstlers zu sehen

von Eugen El  17.04.2025

Sachsenhausen

Gedenken an NS-Zeit: Nachfahren als »Brücke zur Vergangenheit«

Zum Gedenken an die Befreiung des Lagers Sachsenhausen werden noch sechs Überlebende erwartet. Was das für die Erinnerungsarbeit der Zukunft bedeutet

 17.04.2025

Bericht zur Pressefreiheit

Jüdischer Journalisten-Verband kritisiert Reporter ohne Grenzen

Die Reporter ohne Grenzen hatten einen verengten Meinungskorridor bei der Nahost-Berichterstattung in Deutschland beklagt. Daran gibt es nun scharfe Kritik

 17.04.2025