Am Ende, nach einem knapp drei Stunden langen, pausenlosen, intensiven Theaterabend, wollen viele Zuschauer das Salzburger Republic noch nicht verlassen. Samuel Finzi hat sich ans Klavier gesetzt, seine Kollegin Mavie Hörbiger greift zum Akkordeon – gemeinsam intonieren sie eine verträumte Version von »Let it be«.
Wenige Meter neben den beiden Schauspielern steht David Grossman und wippt sacht im Takt des Beatles-Klassikers mit. Es ist eine Art musikalische Zugabe, der berührende Abschluss einer darstellerisch furiosen, aber auch fordernden Premiere bei den Salzburger Festspielen.
netanja Der tschechische Theatermacher Dušan David Parízek hat für das österreichische Festival eine Bühnenfassung von Grossmans Roman Kommt ein Pferd in die Bar erstellt und im Republic, dem einstigen Stadtkino, inszeniert. Vor vier Jahren ist das Buch des israelischen Schriftstellers auf Hebräisch erschienen, seit 2016 gibt es die deutsche Ausgabe. Im Zentrum der Geschichte steht der Stand-up-Comedian Dov »Dovele« Grinstein.
Mit dieser Figur hat Grossman eine Zumutung geschaffen: fürs Publikum des Komikers, vor allem aber für Dovele selbst. Erzählt wird von einem Auftritt Grinsteins in Netanja; es ist eine Vorstellung, die dem Alleinunterhalter mehr und mehr entgleitet. Statt die Erwartungen seiner Zuseher zu erfüllen, setzt er zum Rundumschlag an. Seine Witze sind niveaulos, sexistisch, rassistisch; er trampelt auf der Erinnerung an die Opfer des Holocaust ebenso herum, wie er Israels aktuelle Politik bloßstellt.
Doch hinter der Abrechnung mit seinen traumatisierten Eltern, die als jeweils Einzige ihrer Familien den Judenmord überlebten, und einer verunsicherten Gesellschaft zwischen arabischem Terror und israelischer Besatzung zeigt Grossman einen Menschen, der mit sich und seinem Dasein hadert. Sein Protagonist muss sich eine Lebensbeichte von der Seele reden – auch wenn die meisten Zuschauer den Saal in Netanja entsetzt verlassen.
Abgründe Im Republic gehen einige Premierengäste ebenfalls vorzeitig. Parízeks Inszenierung ist tatsächlich eine Herausforderung; eine Arbeit, die nach Grenzen sucht. Vor allem aber ist Kommt ein Pferd in die Bar der Abend von Samuel Finzi. Dem Schauspieler, Sohn jüdisch-bulgarischer Eltern, gelingt die herausragende, schier unglaubliche Konditions- und Konzentrationsleistung, Grinstein über beinahe drei Stunden hinweg zu gestalten. Ob als arroganter Publikumshasser oder abgehalfterter Künstler am Ende seiner Karriere, ob als gnadenloser Zyniker oder tief Traumatisierter – Finzi zeigt eine Tour de Force durch die seelischen Abgründe seiner Figur.
Die Schuld, die der Verzweifelte glaubt, auf sich geladen zu haben, liegt lange zurück: Als 14-Jähriger wurde er aus einem Jugendcamp nach Hause zu einer Beerdigung gerufen; er wusste jedoch nicht, wer von seinen Eltern gestorben war. Auf der stundenlangen Fahrt zum Friedhof steigerte er sich in den Wahn, durch sein Nachdenken darüber, ob der Vater oder die Mutter tot ist, diese Entscheidung beeinflussen zu können. Ein Dilemma, das der Junge kaum auszuhalten vermochte.
Auf der linken Bühnenseite stehen zwei Kleiderstangen, daran hängen etliche Exemplare von Grinsteins Anzug. Es ist, als würde jedes einzelne eine andere Facette dieses Kerls symbolisieren. Finzi fächert viele davon auf. Obwohl er mitunter zu leise, schnell und undeutlich spricht, kann er doch die Spannung lange hochhalten.
Begegnung Unterstützung erhält er dabei von Mavie Hörbiger als Pitz. Parízek hat die Rolle der einstigen Jugendfreundin Doveles gegenüber dem Roman aufgewertet. Pitz – Hörbiger spielt sie mit keckem Selbstbewusstsein – beweist, worum es Grossman geht: den Blick auf einen anderen Menschen auszuhalten. Egal, wie schmerzhaft und anstrengend das auch sein mag.
Das erste Gespräch über diese Inszenierung, die im September am Wiener Burgtheater herauskommen wird, fand in Tel Aviv statt, wo Parízek den Schriftsteller traf. »Ich habe bei dieser Begegnung sehr viel über den Menschen und auch über den Autor David Grossman erfahren«, erzählte der Regisseur beim Pressegespräch. »Dieses Wissen hat mich bei der Arbeit immer wieder an den richtigen Weg erinnert.«
Grossman räumte bei dieser Gelegenheit ein, dass er »normalerweise Theatermachern rate, noch zwei- oder dreimal darüber nachzudenken, ob sie wirklich einen meiner Romane auf die Bühne bringen wollen. Ich schreibe oft ohne Punkt und Komma, gehe vor und wieder zurück. Das lässt sich nicht so leicht adaptieren.«
Doch bei Kommt ein Pferd in die Bar sei es anders gewesen, so der 64-Jährige: »Durch Samuel Finzi wird die Figur, die ich mir ausgedacht habe, plötzlich lebendig.«
Die Premiere verfolgte der israelische Schriftsteller dann im Publikum. Finzi holte ihn schließlich zum begeisterten Schlussapplaus auf die Bühne, bevor er sich ans Klavier setzte, um »Let it be« zu spielen.
Weitere Vorstellungen am 18., 21. und 23. August