Unendliches Warten, ein quietschendes Windrad, das Summen einer Fliege. Dann schicken die Ereignisse ihre Melodie voraus, unheilvoll klagende Töne einer Mundharmonika. Hans Zimmer hörte die berühmten Klänge aus Ennio Morricones Filmmusik zu Spiel mir das Lied vom Tod in dem kleinen Kino des Taunusstädtchens Kronberg, wo er einige Jahre seiner Kindheit verbrachte.
»Da hat es ›Klick‹ gemacht. Es war so laut, so aufregend, das wollte ich auch«, erzählte Zimmer später in einem Interview. Mit etwa 150 Filmmusiken, zehn Oscar-Nominierungen und zwei Oscars ist er der wohl produktivste und meist prämierte Komponist der Filmgeschichte. Am 12. September wird Hans Zimmer 65 Jahre alt.
olymp Der Weg auf den Olymp der Filmindustrie war nicht steinig, aber kurvenreich. Geboren wurde er 1957 als Sohn einer wohlhabenden Industriellenfamilie in Frankfurt am Main. Seine jüdische Mutter war als Kind vor den Nazis nach England geflohen und später nach Deutschland zurückgekehrt. Nach dem frühen Tod des Vaters verschlug es den 14-Jährigen – nach vielen gescheiterten Anläufen in deutschen und schweizerischen Bildungsanstalten – in ein englisches Internat.
Eine Musikhochschule hat Zimmer nie besucht. Den Klavierunterricht, den er sich selbst verordnete, gab er schnell wieder auf: »Das war so, entweder ich hätte den Lehrer umgebracht oder er hätte mich umgebracht«, sagte Zimmer 2012 in der Harald-Schmidt-Show. Als 19-Jähriger komponierte er Werbejingles für Unternehmen wie BMW und Kodak. Mit der Band »The Buggles« gelang ihm 1979 mit »Video Kills the Radio Star« ein Nummer-Eins-Hit. Der Song war der erste Videoclip, mit dem 1981 der neue Musikkanal MTV auf Sendung ging.
An- und abschwellende Klangwogen, das sollte Zimmers Markenzeichen bleiben.
Zusammen mit dem britischen Komponisten Stanley Myers bekam er dann erste Anerkennung als Filmmusiker: Der Soundtrack zu Stephen Frears Mein wunderbarer Waschsalon (1984), einem Klassiker des New British Cinema, verrät schon Zimmers Vorliebe für elektronische Experimente. Verglichen mit seinen späteren Soundkreationen ist die Musik zu dem kleinen Einwandererdrama aber eher zurückhaltend.
oscar-nominierung Mit der Musik zu Barry Levinsons Rain Man (1988) etablierte sich Hans Zimmer gleich mit seiner ersten allein komponierten Filmmusik in Hollywood. Der Geschichte um das autistische Genie Raymond (Dustin Hoffman) und seinen Bruder Charlie (Tom Cruise) hatte niemand Erfolgsaussichten eingeräumt. Das Gegenteil trat ein. Mit Rain Man erschloss sich das US-Kino neue Zuschauerschichten. Dem Komponisten brachte es seine erste Oscar-Nominierung ein, der bis zu Christopher Nolans Dunkirk neun weitere folgen sollten, unter anderem für die Musik zu Gladiator und Interstellar.
Die »längst überfällige Anerkennung« (»Der Spiegel«) wurde Zimmer dann im Jahr 1995 mit dem Oscar für die Musik zur Disney-Produktion König der Löwen zuteil, eine Mixtur aus synthetisch aufbereitetem Ethno-Sound und den Klängen eines hoch aufgerüsteten Orchesters, unterlegt mit Gesangseinlagen, an denen auch Elton John mitarbeitete.
Für das Science-Fiction-Drama Dune erhielt Zimmer 2022 seinen zweiten Oscar. Dazwischen hagelte es eine Vielzahl von Grammys, Golden Globe- und anderen Awards und Nominierungen. Seit 2010 ziert sein Name einen Stern auf Hollywoods berühmtem »Walk of Fame«. Und er ist Träger des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland sowie der Goetheplakette seiner Geburtsstadt Frankfurt am Main.
traditionen An- und abschwellende Klangwogen, das sollte Zimmers Markenzeichen bleiben. In seinen »Wall-to-Wall-Scores«, der musikalischen Untermalung des Films über nahezu die gesamte Spieldauer, bediente er sich einer Vielzahl von musikalischen Traditionen, sowohl aus unterschiedlichen Kulturen als auch aus der klassischen Musik, etwa Siegfrieds Trauermarsch aus Wagners »Götterdämmerung« in Ridley Scotts Gladiator (2000) oder dem »Tristan«-Vorspiel in dessen Hannibal (2001). Zimmers Musik, »ein monumentales Crescendo«, habe damit »in den vergangenen Jahrzehnten den Sound Hollywoods definiert« (»Zeit-Magazin«). Zuletzt lieferte er unter anderem den Sound zu Top Gun Maverick.
Er wolle »den Menschen nicht sagen, was sie fühlen sollen. Aber ich öffne eine Tür zu den Gefühlen«, sagte Zimmer im Mai im Gespräch mit dem »Zeit-Magazin«. Dass diese Gefühle vor allem in Zimmers späteren Werken manchmal unter der Last der Klanglawinen zu ersticken drohen, monierte schon ein Kritiker der »New York Times«, der im König der Löwen eine »bisweilen aufdringlich bombastische« Musik hörte.
Der Vater von vier Kindern, der zum zweiten Mal verheiratet ist, lebt seit Langem in Kalifornien. Anders als sein großes Vorbild Morricone scheute Hans Zimmer lange die große Konzertbühne. Erst seit 2016 zelebriert er seine klassischen Filmmelodien in großen Arenen rund um die Welt. Im nächsten Jahr kommt er für acht Auftritte auch nach Deutschland.