Wer fernab des Nahen Ostens mal wieder Sehnsucht nach der sonnigen Traumstadt am Mittelmeer verspürt, dem sei das Musikvideo der israelischen Band »Men of North Country« ans Herz gelegt. Darin brausen die Musiker auf einer Oldtimer-Vespa mit Beiwagen und auf dem Fahrrad durch Tel Aviv: vom Süden über die Derech Jaffa Richtung Meer, am Strand entlang und über den Rothschild-Boulevard bis in den Norden, vorbei am Hayarkon-Park.
Zwischendurch machen sie halt in einer Bar an der Großen Synagoge nahe der Allenby mitten im Stadtzentrum – selbstverständlich auf ein Goldstar. Der Himmel: blau. Die Stimmung: fröhlich. Eine Drei-Minuten-Portion Leichtigkeit für die eher grauen Herbsttage in Deutschland. Außer, dass der Song ausgerechnet »Let’s get away« heißt und die Musik der Band so gar nicht nach Tel Aviv klingt, sondern nach britischem Northern Soul der 60er-Jahre, mit schnellen, gut gelaunten Gitarrensounds und flottem Schlagzeug, untermalt mit den Tönen von Trompete, Posaune und Saxofon. Auch Post-Punk- und Rock ’n’ Roll-Einflüsse sind herauszuhören.
Die Lyrics – »Lass uns weggehen nach Berlin, an Orte, die wir noch nicht gesehen haben, lass uns den Frühling in Tokio sehen, lass uns weggehen« – singt Frontman Yashiv Cohen cool, lässig und unangestrengt. »Ich muss weg von dieser brutalen Sicht (armes 972)«, heißt es an einer Stelle des jüngsten Albums This City. »972« – die Ländervorwahl von Israel.
BAUHAUS Solche Texte wiederum sind typisch für Tel Aviver, die ihre Stadt zwar lieben, gleichzeitig aber an ihrer Hitze, ihrem Verkehr, dem Chaos und den Preisen oft verzweifeln und Neulinge und Hinzugezogene ausnahmslos fragen, warum sie denn ausgerechnet hierher gekommen sind, wo die Welt doch so viele andere wunderbare Orte zu bieten hat. Dieser Widerspruch macht die 2008 gegründete Band Men of North Country – oder kurz: Monc – aus.
Widersprüche machen die Band aus Tel Aviv aus, musikalisch und inhaltlich.
Die sieben Jungs zwischen 29 und 47 Jahren haben bereits zwei Alben auf den Markt gebracht. Anfang des Monats sind sie von einer Mini-Tour in Deutschland zurückgekommen: An fünf Orten haben sie gespielt, darunter in der Bauhaus-Stadt Dessau im Rahmen der »Triennale der Moderne«, wo die Musiker bereits im Jahr 2012 aufgetreten waren.
Nicht von ungefähr: Zum einen, weil die Band ja mitten aus der »Weißen Stadt« kommt, die aufgrund der mehr als 4000 Bauhaus-Gebäude von der UNESCO im Jahr 2003 als Weltkulturerbe ausgezeichnet wurde. Zum anderen, weil die Bandmitglieder sich auch für urbanes Design und Architektur interessierten, wie Frontman Yashiv Cohen erzählt: »Wir haben architektonische Motive im Grafikdesign und in den Videos zu unserem Album This City verwendet.«
VINYL Begonnen hat die Geschichte der Band bei einem Auftritt von Yashiv Cohen als DJ während einer der von ihm ins Leben gerufenen »Tel Aviv Soul Club Nights«, bei denen er noch heute auflegt. Natürlich auch im Jahr 2019 nur echtes Vinyl – typisch für die Northern-Soul-Szene. Die Jagd nach den alten Scheiben in den Plattenläden dieser Welt gehört für echte Soul-Fans dazu.
Damals als DJ jedenfalls sang Yashiv die Songs des Abends mit – wie heute akzentfrei, schließlich stammen seine Mutter und Großmutter aus Brooklyn. »Ein Freund hat mich gehört und schlug vor, eine Band zu gründen. Anfängliche Proben waren zwar nicht sehr erfolgreich, aber der erste Schritt war getan. Daraufhin habe ich einen Song geschrieben, Doron hat die Melodie komponiert.« Doron Farhi ist heute der Bassist der Band. »Daraus wurde unsere erste Single ›Man of North Country‹.«
Der Name passt gleich doppelt zur Band. Nicht nur, weil er dem Musikstil entspricht: Einige Bandmitglieder stammen aus Israels Norden, aus Kfar Blum, Ein Harod und Haifa.
Einige Bandmitglieder stammen aus Israels Norden, aus Kfar Blum, Ein Harod und Haifa.
BLUES Ihre Liebe zum Original Northern Soul der 60er-Jahre haben Men of North Country auf ihrem jüngsten Album auch in einem Cover des Songs »I’m Coming Home In The Mornin’« ausgedrückt. Das Original stammt von dem amerikanischen Blues- und Soulsänger Lou Pride. Ein anderes Lied haben sie der amerikanischen Soulsängerin Wendy Rene gewidmet: »Nun, wo bist du, Wendy Rene?/ Es ist lange her, ich bin bereit, zu spielen/ Sechzig Minuten Klischee/ Du willst gehen, ich will bleiben/ Wo bist du, Wendy Rene?«, heißt es in dem gleichnamigen Song. Die Drei-Minuten-Marke wird bei den Stücken stets nur um wenige Sekunden überschritten, wie es sich für guten Northern Soul gehört. Kurz und schnell muss er sein.
Die Konzerte der Band sind ein Ereignis: Live kommen die Stücke noch wuchtiger und druckvoller rüber als auf Vinyl. Ihre Fans wissen das zu schätzen – und kleiden sich zu ihren Konzerten stilecht zum Sound von Men of North Country. »Außerhalb von Israel sind bei unseren Gigs immer ein paar Gäste, die so aussehen, als wären sie direkt mit einer Zeitmaschine aus Londons 60er-Mod-Szene angereist«, sagte Bassist Farhi vor ein paar Jahren im Interview mit der taz. »Smarte Kleidung, die richtigen Tanzschritte. Das gibt es bei uns in Israel in dieser Form nicht. Wir finden das sehr faszinierend.«
Obwohl die Musik der Tel Aviver Jungs durchaus massentauglich ist, blieb der Band der große Durchbruch in Israel bislang verwehrt. International sieht es da schon anders aus. Deutschland, USA, Großbritannien: Fleißig touren sie durch die Welt. Nach der Veröffentlichung von This City lud Craig Charles, Moderator einer Funk-and-Soul-Radioshow von BBC Radio, die Jungs zu einer Live Session ein – die Hörer waren begeistert. Im kommenden Jahr wird nun ihr drittes Album erscheinen. Von den Men of North Country wird noch einiges zu hören sein.
www.menofnorthcountry.com