Eigentlich wollte sie nur eine dreimonatige Auszeit nehmen, um sich von ihrer jahrzehntelangen Forschungstätigkeit zu erholen. Aber kaum war die Psychologin Edna Foa in ihrem Geburtsland Israel angekommen, starteten die Palästinenser die zweite Intifada. Viele Menschen kamen bei Terroranschlägen nur knapp mit dem Leben davon und wurden schwer traumatisiert.
Die Ärzte am Sheba Medical Center in Tel Hashomer hatten mitbekommen, dass mit Edna Foa eine renommierte Trauma-Expertin aus den USA im Lande war, und luden sie zu einem Vortrag über die Bewältigung schrecklicher Lebensereignisse ein. Der Vortragssaal war heillos überfüllt, und Edna Foa musste noch viele weitere Workshops geben. Aus der erhofften Ruhe wurde nichts.
Das war im Jahr 2000. Inzwischen haben mehrere israelische Kliniken, darunter das Hadassah-Hospital in Jerusalem, die von Edna Foa entwickelte Trauma-Therapie in ihr Behandlungsprogramm übernommen. Foa – trotz ihrer 74 Jahre nach wie vor Direktorin des Zentrums für die Behandlung von Angststörungen an der Universität von Pennsylvania – pendelt heute zwischen Israel und den USA, um israelische Psychotherapeuten auszubilden.
Die IDF und das Verteidigungsministerium arbeiten mit ihr zusammen. Auch die amerikanischen Streitkräfte wenden Foas »Prolonged Exposure Therapy« (PE) erfolgreich bei der Behandlung traumatisierter Kriegsveteranen an. Im vergangenen Jahr wurde Foa sogar in die Liste der 100 einflussreichsten Persönlichkeiten des Time Magazines aufgenommen – als einzige Psychologin, Seite an Seite mit Präsident Obama und Lady Gaga.
vermeiden Geboren wurde Edna Foa 1937 in Haifa als Tochter eines Versicherungsbeamten und einer Hausfrau. Schon früh erfuhr sie, was Krieg bedeuten kann: Als sie elf Jahre alt war, starb ihr älterer Bruder, ein Soldat in der Palmach, im Unabhängigkeitskrieg bei einem Einsatz im Negev. Edna entschloss sich später, Psychologie zu studieren. Nach ihrem Bachelor-Abschluss an der Bar-Ilan-Universität ging sie in die Vereinigten Staaten und studierte bei Joseph Wolpe, einem Pionier der Verhaltenstherapie.
Anfang der 80er-Jahre spezialisierte Edna sich auf die Behandlung Posttraumatischer Belastungsstörungen (PTBS). Aufbauend auf den Prinzipien der Verhaltenstherapie entwickelte sie ein Behandlungsprogramm, das ursprünglich für Vergewaltigungsopfer gedacht war, das aber auch den Überlebenden von sexuellem Missbrauch, Folter, Kriegseinsätzen, Terroranschlägen, Verkehrsunfällen und Naturkatastrophen helfen kann. »Ich fragte mich, warum wir negative Erfahrungen nicht vergessen können, warum sie uns in Träumen und Flashbacks immer wieder heimsuchen«, erinnert sich Foa in einem Interview.
Sie sah schließlich ein, dass solche Erinnerungen einen Sinn haben und nicht verdrängt werden sollten. »Immer, wenn ein Gedanke uns an das traumatische Ereignis erinnert, versuchen wir, ihn wegzuschieben, anstatt das Trauma zu verarbeiten.« Das Ergebnis ist Vermeidungsverhalten: Man vermeidet bestimmte Gedanken und Orte. Dieses Verhalten, sagt Foa, beruht auf irrationaler Angst. »Wenn eine Patientin, die vergewaltigt wurde, fürchtet, sie würde jedesmal, wenn sie eine dunkle Straße entlanggeht, wieder vergewaltigt werden, oder wenn ein Veteran des Libanonkrieges glaubt, wenn er nach Jaffa kommt, wird er wieder angegriffen – dann sind das keine realistischen Annahmen«, erklärt Foa.
verarbeiten Das Hauptmerkmal der Posttraumatischen Belastungsstörung ist das Überflutetwerden von unerträglicher Angst, sobald irgendetwas auch nur entfernt an das schreckliche Ereignis erinnert. Kein Wunder, dass PTBS-Patienten sich oft fast völlig vom Leben zurückziehen, um den Kontakt mit möglichen Auslösern zu vermeiden.
Foas PE-Therapie versucht daher genau das Gegenteil: Ihre Patienten müssen sich ihren belastenden Erinnerungen über einen längeren Zeitraum aussetzen. (Das erklärt den Begriff »Prolongued Exposure«.) Zuerst nur mental: Das Trauma-Opfer soll sich das Ereignis möglichst plastisch vorstellen und immer wieder darüber reden. Dann auch in der Realität: Foa sucht mit ihren Patienten, soweit möglich, den Ort des Geschehens auf. »Um ein traumatisches Ereignis zu verarbeiten«, sagt Foa, »muss man es noch einmal so durchleben, wie es passiert ist.«
vertrauen Am Anfang verspürt der Patient auf diese Weise mehr Angst als vor Beginn der Behandlung. Aber die lässt im Verlauf der Therapie nach. Und zwar erstaunlich schnell. Studien haben gezeigt, dass es bei der PE-Therapie nur etwa acht bis 15 Sitzungen braucht, bis der Patient symptomfrei ist und wieder Selbstvertrauen gewinnt. Und sie hat die enorme Erfolgsrate von 80 bis 85 Prozent. »In Israel sind Soldaten des Jom-Kippur-Krieges und des ersten Libanon-Krieges mit meiner Methode behandelt worden«, sagt Foa. »Darunter waren Leute, die 30 Jahre lang nicht mit ihrem Leben zurechtkamen. Und nun ging es ihnen nach drei oder vier Monaten wieder gut.«
Trotz der beeindruckenden Erfolge und der erwiesenen Wirksamkeit hat sich die »Prolongued Exposure Therapy« noch nicht überall in den USA und Israel durchgesetzt – vom Rest der Welt zu schweigen. In Deutschland etwa beginnen sich die verhaltenstherapeutischen Ausbildungsinstitute erst allmählich der Methode von Edna Foa zu öffnen. Erste Fortbildungs-Workshops gibt es bereits. Und wenn man derzeit nach Japan blickt, kann man nur hoffen, dass den zahllosen Erdbeben- und Tsunami-Opfern auch psychologische Hilfe zuteil wird.
Die Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) – besser bekannt unter dem englischen Kürzel PTSD (Post Traumatic Stress Disorder) – kann entstehen, wenn ein Mensch ein außergewöhnlich bedrohliches oder belastendes Lebensereignis – zum Beispiel Krieg, Folter oder Vergewaltigung, aber auch schon das bloße Mitansehen von Verbrechen oder Terroranschlägen – nicht adäquat psychisch bewältigen kann. Die PTBS ist dann eine Spätfolge, die unter anderem gekennzeichnet ist durch Angst, Depressionen, Albträume und Flashbacks (plötzliche Erinnerungsbilder).