»Grün schlägt rot. Die deutsche Linke nach 1945.« Was wie ein aktueller tagespolitischer Kommentar erscheint, war der Titel eines Buches des amerikanischen Gelehrten Andrei S. Markovits aus dem Jahr 1997. Markovits sagte auch: »Antisemitismus und Antiamerikanismus müssen als die zwei Seiten der gleichen Medaille erscheinen.« Um solche Themen kreist das Gesamtwerk des 1948 als Kind rumänischer Schoa-Überlebender geborenen, in New York und Wien aufgewachsenen Wissenschaftlers.
Andrei S. Markovits ist hierzulande, insbesondere innerhalb der Linken, eine zentrale publizistische Größe. Mittels seiner breit gefächerten Beiträge vermag man die Zwillingsbrüder Antiamerikanismus und Antisemitismus im politischen und kulturellen Alltag zu begreifen.
Antisemitismus und Antiamerikanismus sind für Markovits zwei Seiten der gleichen Medaille.
Heiko Beyer und Martin Krauß, langjähriger Politikredakteur der Jüdischen Allgemeinen, haben anlässlich von Markovits’ 70. Geburtstag (leicht verspätet) eine Sammlung kleinerer Beiträge des Jubilars zusammengestellt, komplementiert durch Begleitstudien seiner Kollegen und Weggefährten. »Andy«, so erinnert sich der ihm seit vielen Jahren verbundene Krauß, trete durchgehend unprätentiös auf, interessiere sich gleichermaßen für Bob Dylan und The Grateful Dead wie auch für Sport.
GRUNDHALTUNG 2001 hielt Markovits bei den Grünen einen Vortrag über grüne Perspektiven für das Jahr 2020. Ihn rühre, dass diese Partei vor dem Hintergrund der Schoa Reue und das Eingeständnis von kollektiver Schuld als zentrale politische Kategorien benannt habe. Eine solche moralische Grundhaltung, auch bei der Ausgestaltung zwischenstaatlicher Beziehungen, habe es »niemals vorher« gegeben. Dagegen wehrten sich konservative Kräfte mit aller Macht, sähen diesen Diskurs »als beschämend und erniedrigend an«. Anscheinend hatte er bereits seinerzeit Gauland und die AfD im Hinterkopf.
Modernität und emanzipatorisches Engagement seien wegweisende Kategorien in der Politik. Wer hingegen pauschal Globalisierung als »Teufelszeug« diffamiere, sei bei einem »gleichermaßen bei Rechten wie bei Linken beliebten Mantra« angekommen: »Von den USA« komme »alles Schlechte«. Besonders imponierten dem Forscher grüne Programmsätze wie »Das Leid der Opfer des Naziterrors können wir nicht wiedergutmachen«; die Deutschen müssten »die Erinnerung wachhalten«. Dass die Grünen hingegen – im Jahr 2001 (!) – Rechtsradikalismus in Deutschland und den USA nicht nachdrücklich benennen, sei ein Versäumnis. Ein Jörg Haider sei »in Deutschland noch undenkbar«, so Markovits damals, aber das werde »kein Dauerzustand bleiben«.
Auch beim Staatsbürgerverständnis müsse ein »Umdenken und Umfühlen« stattfinden. Man müsse auch Deutscher sein können, »ohne gut – oder vielleicht überhaupt – Deutsch zu sprechen«.
NAHOSTEMPÖRUNG Immer wieder kreisen Markovits’ Studien um die Rückkehr des politischen Antisemitismus. Antisemitische »Verschwörungsmythen, eliminatorische Hassreden und klassische verbale Judenfeindschaft« träten, so legt Lars Rensmann in seiner Begleitstudie dar, immer stärker, unverhüllter und aggressiver auf.
2002 zeichnete Markovits in der »taz« in »Der salonfähige Antisemitismus« die Zyklen der bundesdeutschen Nahostempörung nach. Die extremen politischen Ränder seien sich in ihrem Hass auf Israel stets einig gewesen. Die Schamschwellen für verbale und körperliche Angriffe auf jüdische Einrichtungen seien bereits in den 90er-Jahren spürbar gesunken. Die Häme, mit der Europäer auf den israelisch-palästinensischen Konflikt reagierten, sei bezeichnend: »Seht, die verfluchten Juden, die uns eine Schamkultur aufgezwungen hatten.« Was diese Kreise miteinander verbinde, sei ihr Eifer, »nicht Amerikaner zu sein«.
Es finden sich in dem anregungsreichen Band auch vergnüglichere Themen. So schreibt der vielseitige Forscher über Tierschutz und unser Mitgefühl. Dies seien für ihn regelrechte »Fluchtthemen«, um sich nicht unentwegt mit diesen unergiebigen inhaltlichen Differenzen mit der Linken, der er sich weiterhin innerlich verbunden fühlt, herumzustreiten. Mit diesen Themen wolle er ab und zu »so wenig wie nur irgend möglich zu tun« haben, erklärt er in dem den Band abschließenden Interview. Deshalb deutet der Freidenker eine Vision an: einmal einen Krimi zu schreiben, in dem sowohl Opfer als auch Täter ungarischsprachige Juden seien; Handlungsort müsse der Campus der Stanford University sein.
Heiko Beyer und Martin Krauß (Hrsg.): »Amerika – Europa. Transatlantizismus als Erkenntnisstrategie«. Verbrecher, Berlin 2020, 201 S., 19 €