Finale

Der Rest der Welt

Vorletzte Woche fand ich auf dem Boden einen Kugelschreiber, auf dem »Jesus verlässt dich nie« stand. Wahrscheinlich das Give-away einer christlichen Sekte. Ich hob ihn natürlich auf, glücklich, wieder mal einen Kugelschreiber zu besitzen. Jedes- mal, wenn ich einen brauche, habe ich nämlich keinen.

Der Jesus-Stift schrieb aber nicht mehr, die Mine war ausgetrocknet. Schon wollte ich ihn wieder wegwerfen, da kam mir eBay in den Sinn. Ich bot den Kugelschreiber für fünf Franken plus einen Franken Porto an. In den nächsten Tagen entwickelte sich eine Bieterschlacht um den Stift. Viele Schweizer, so schien es, suchten schon lange nach einem »Jesus verlässt dich nie«-Kugelschreiber, der nicht mehr schrieb. Am Ende der Auktion konnte ich ihn für 13 Franken verkaufen!

Kugelschreiber Dieser Erfolg beflügelte mich sehr. Die Auktion ging um Mitternacht zu Ende. Am Morgen weckte ich meine Frau um etwa fünf Uhr. »Schatz«, flüsterte ich ihr zu, »ich konnte den defekten Jesus-Kugelschreiber für 13 Franken verkaufen, toll, oder?« Sie guckte mich dumm an. Natürlich erklärte ich ihr gleich, worum es ging. Nämlich darum, dass ich eigentlich ein ziemlich cleveres Bürschchen bin.

Mir kam China in den Sinn. Warum nicht, so mein Business-plan am Frühstückstisch, ein paar Millionen kaputte Kugelschreiber bestellen? Mit der Botschaft: »Gott ist bei dir«, »Jesus und Gott in deiner Hand« oder etwas beschwingter: »Hallöchen, Gott guckt auf dich, Menschensohn!«

Im Prinzip bin ich ja jüdisch. Der jüdische Markt ist aber recht klein. Und wenn ich mich schon in die Businesswelt hineinstürze, dann nicht unter einer Million verkaufter Kugelschreiber. Vielleicht mache ich ja später eine kleine Sonderedition: »Haschem ist bei dir« oder »Moschiach, Moschiach, Moschiach«.

Botschaft Den Satz »Jesus verlässt dich nie« kann ich natürlich nicht patentieren lassen. Seine Botschaft ist leider auch nicht allen genehm.

Vor einer Woche nahm ich ein paar Drinks mit einem Kollegen in einer Zürcher Bar. So betrunken wie die alte Frau, die sich von Tisch zu Tisch hangelte, war ich aber noch nicht. Sie lallte etwas von George W. Bush und dem verfluchten Irakkrieg.

Normalerweise ist man ja zu anderen Betrunkenen solidarisch und gutmütig. Die Frau stank aber außerirdisch. Und sie wollte nicht mehr von mir weichen. Irgendwann packte ich sie am Arm und sprach sie ganz offen an: »Jesus verlässt dich nie!« Die Frau schrie mich an. Ich sei ein ... und ein ...!

Aber sie entfernte sich von meinem Tisch. Klar, ich bin jetzt ein wenig euphorisch. Es gibt Menschen, die suchen ein Leben lang nach einer Geschäftsidee. Ich bin erst 36 Jahre alt und werde die Welt noch überraschen! Es sei denn, mein Sejchel verlässt mich.

K20 Kunstsammlung

Ungewöhnliche Werke von Marc Chagall in Düsseldorf zu sehen

Die Ausstellung mit 120 Werken beleuchtet Chagalls Auseinandersetzung mit Antisemitismus, Armut und Geschlechterrollen

von Nikolas Ender  13.03.2025

Liraz

Das Trillern der Utopie

Die israelische Sängerin ist stolz auf ihre persischen Wurzeln. In Europa kämpft sie mit Konzertabsagen

von Tilman Salomon  13.03.2025

Kino

Der Wandel des »Ka-Tzetnik«

Eine Doku widmet sich dem Schoa-Überlebenden Yehiel De-Nur und seiner Auseinandersetzung mit dem »Planeten Auschwitz«

von Dietmar Kanthak  13.03.2025

Kino

Bonhoeffers Vermächtnis »verfälscht und missbraucht«

In seinem umstrittenen Film stilisiert der amerikanische Regisseur Todd Komarnicki den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer zu einer Erlöserfigur im Kampf gegen den nationalsozialistischen Terror

von Raimund Gerz  13.03.2025

Rechtsextremismus

Braune Musik verbreitet Hass: Rechtsrock in Deutschland

Rechtsextreme Musik trifft bei etlichen auf offene Ohren. Beobachter warnen: Die Rechtsrock-Szene blüht. Und sie kann ein »Türöffner« sein für rechtsextremistische Ideologien

von Alexander Lang  13.03.2025

Aufgegabelt

Hamantaschen mit Mohn

Rezepte und Leckeres

 13.03.2025

Pädagogik

Sicherheit vermitteln

Welche Herausforderungen der 7. Oktober mit sich bringt: Religionslehrer suchen Antworten auf schwierige Fragen beim jährlichen Treffen an der Hochschule für Jüdische Studien Heidelberg

von Ayala Goldmann  13.03.2025 Aktualisiert

Glosse

Der Rest der Welt

Schlafanzug im Oval Office oder Warum wir mehr Pyjama wagen sollten

von Nicole Dreyfus  13.03.2025

Zahl der Woche

14. Adar

Fun Facts und Wissenswertes

 13.03.2025