Nichts gegen Chabad. Wirklich nicht. Ich war sogar dieses Jahr zum Kol Nidre in der Berliner Synagoge der Lubawitscher. Hauptsächlich deshalb, weil sie nur zehn Minuten Fußweg von meiner Wohnung entfernt liegt. Und wenn ich schon mal in eine Synagoge gehe, was, weiß Gott (und der wird es wissen), selten genug vorkommt, dann wenigstens, wie es sich gehört, per pedes. (Für die Nichtlateiner unter den Lesern: Das heißt nicht, wie oft irrtümlich angenommen wird, »mit dem Fahrrad«.)
Aber einen Vorwurf kann ich den netten Leuten von Chabad nicht ersparen: Seit die amerikanischen Chassiden in Großstädten wie Berlin das Straßenbild mitprägen, geraten wir weniger Frommen bei den Gojim unter Druck, was das Outfit angeht.
Vorstellung Kürzlich war ich mit einer nichtjüdischen Bekannten in der Stadt unterwegs. An einer Ecke kam uns ein Lubawitscher entgegen, in Schwarz mit Hut und Zizit. »Das ist ein richtiger Jude!«, erklärte meine Begleiterin in halb vorwurfsvollem, halb triumphierendem Ton. Offenbar hatte ich ihre Vorstellung, wie ein Sohn Israels auszusehen hat, bislang enttäuscht. Durch den Chabadnik war die Ordnung der Dinge jetzt wiederhergestellt, ihr Judenbild bestätigt.
Wirklich nahe gegangen ist mir diese Kritik allerdings nicht. Dass ich auch ohne schwarze Klamotten jüdisch genug aussehe, weiß ich, seit vor Jahrzehnten eine – nota bene jüdische – Kommilitonin an der Uni, die gerade ein Seminar über »Das Judenbild in der NS-Propaganda« besuchte, mir eines Tages eine Nazi-Broschüre mit einem Foto zeigte, betitelt »Der zersetzende jüdische Intellektuelle« und begeistert meinte: »Ist dir wirklich wie aus dem Gesicht geschnitten!«
Borsalino Bestätigt wurde das vor ein paar Jahren bei einem Städtetrip nach Budapest. Im Schaufenster eines Hutgeschäfts sah ich einen wunderschönen, perlgrauen Stetson. Ich ging in den Laden hinein, um mich nach dem Preis zu erkundigen. Doch der Verkäufer wartete meine Frage erst gar nicht ab, sondern verschwand, kaum meiner ansichtig geworden, sofort im Lager, von wo er nach zwei Minuten zurückkehrte und mir wortlos einen schwarzen Borsalino präsentierte, wie ihn die Lubawitscher und andere Fromme tragen.
Übrigens: Der Chabadnik, von dem anfangs die Rede war, hat mir auf der Straße freundlich zugenickt, obwohl wir uns nicht kannten. Wie die Amerikaner sagen: It takes one to know one. Bewiesen ist jedenfalls: Auch ich bin ein richtiger Jude.