Endlich ist Buchmesse! Endlich! Ich fahre zwar nicht hin, aber allein das Gefühl, dass es wieder neue Bücher gibt, ist ein ganz besonderes. Und dem Aufschlagen eines neuen Buches wohnt sowieso ein Zauber inne, der eine Mischung aus Neugier, Ungeduld und dem unbekannten Gefühl von »Ich-habe-unendlich-viel-Zeit« ist. Spätestens am Wochenende wird dem neuen Buch bei einer Tasse Tee die komplette Aufmerksamkeit geschenkt.
Klingt ja alles irgendwie ganz romantisch, aber die Wirklichkeit sieht dann doch etwas rauer aus. Und: Ein neues Buch lässt man nicht tagelang liegen, man fängt sofort mit dem Lesen an, noch auf dem Nachhauseweg, und dann verschwindet es für ein paar Tage oder Wochen (kommt ja auf das Buch an) in meiner Tasche, diesem riesigen unsortierten Loch.
Mein aktuelles Buch, das ich unterwegs lese, hat deswegen auch ein abgeschubbertes Cover, Knickohren und ein paar Flecken von Zitronenmelisse-Bonbons, die mir neulich ausgekippt sind und an allem klebten, was in meiner Tasche war. Wäre mein Buch ein Stadtviertel, wäre es ein Problembezirk.
Wer Filzumschläge für seine Bücher filzt, trägt auch selbst gern Gefilztes
Es gibt ja Menschen, die wickeln ihre neuen Bücher in selbst gefilzte Umschläge ein. Wirklich wahr! So etwas habe ich neulich morgens erst in der Ringbahn gesehen, als ich mit meinem zerfledderten Buch etwas befremdlich auf das wohlschützende Etwas auf dem Sitz schräg gegenüber blickte. Ich konnte mir die Schlussfolgerung, dass, wer Filzumschläge für seine Bücher filzt, auch selbst gern Gefilztes trägt, nicht verkneifen.
Ob dieser Feststellung fragte ich mich allerdings, ob ich mein Buch auch mal einwickeln sollte: In so einem schwarzen Umschlag sähe es eigentlich ganz gut aus. Ich verwarf den Gedanken aber schnell wieder, denn so viel Ordentlichkeit hält doch niemand aus.
Dann sind da natürlich noch die Leute, die ihre komplette Bibliothek auf einem E-Book-Reader gespeichert haben. Das ist eigentlich ganz clever, aber mal ehrlich: Noch ein Gerät, auf das man starrt neben dem eigenen Telefon? Und außerdem ist das nur der halbe Lesespaß, denn vergessen wir nicht die Haptik, das Umblättern der Seiten, den Blick, ob das nächste Kapitel schon bald zu Ende ist, falls die Stelle mal langweilig sein sollte. Also: definitiv kein E-Book-Reader.
Tsundoku ist Japanisch und steht für ungelesene und gestapelte Bücher
Oder: Ich lasse neue Bücher einfach zu Hause und schütze sie vor dem ruppigen Berliner Alltag eines Buches. So wie in Japan. Dort gibt es ein Wort, das für Bücher steht, die man gekauft, noch nicht gelesen, wohl aber aufgestapelt hat. Es heißt: Tsundoku und ist übrigens auch ein Hit in den sozialen Medien – allerdings nur bei Leuten, die so tun, als würden sie lesen. Das ist aber auch keine Option, denn ohne Buch halte ich die seltsamen Unterhaltungen in der Ringbahn morgens nicht aus.
Dann bleibt es also dabei. Meine Unterwegsbücher werden weiterhin wie ’n Schlunz aussehen, werden Knickohren, eingerissene Stellen und Flecken haben. Das ist Buchliebe. Denn (fast) nichts ist trauriger als ein ungelesenes Buch.