Ich hätte nie gedacht, dass Purim einmal so stressig werden könnte. Aber dieses Jahr kommt es knüppeldick. Der Redakteur meines Stammsenders löchert mich nach einer wirklich originellen Idee für einen Radiobeitrag über das jüdische Kostümfest. Doch was sollte ich der Geschichte von Haman und Mordechai hinzufügen? Warum kann er nicht einfach das Buch Esther rezitieren lassen – am besten von einer jüdischen Sprecherin, die dafür gut bezahlt wird?
polizeischutz Die Alternative dazu wäre eine Homestory aus dem jüdischen Leben, so was lieben deutsche Hörer; doch ich kann mich nur an ein einziges Purimfest aus meiner Kindheit erinnern. Das war ein Ball der Israelitischen Kultusgemeinde Württemberg irgendwann in den 70ern.
Vor dem Saal in Stuttgart standen uniformierte Polizisten mit Maschinenpistolen, während drinnen getanzt wurde. Ich habe mich keine Sekunde lang amüsiert. Würden Sie diese Geschichte hören wollen? Ich nicht.
Auch die Juden machen mich kurz vor Purim nervös. In der Kita meines Sohnes wird seit Wochen für einen Kuchenbasar samt Tombola getrommelt, damit rechtzeitig zu Purim eine Musikanlage angeschafft werden kann. Sie soll den zarten Stimmchen der kleinen Esthers und Vashtis bei den Theater-Aufführungen der Kita-Kinder gebührend Gehör verschaffen. Mir fehlen immer noch zwei Tombola-Geschenke, und auch die Saftpäckchen sind nicht besorgt. Wenn ich es nicht spätestens morgen zu Lidl schaffe, habe ich an Purim wieder nichts zu lachen.
hasenohren Und dabei ist das Hauptproblem nicht gelöst: Wie verkleide ich meinen Sohn? Falls ich den Kleinen nur mit Hasenohren zur Purim-Party schicke, wird mein Image unter den jüdischen Müttern leiden. Außerdem kann mein Sohn dann nicht bei den Mädchen punkten (und die Mädchen sind in der Überzahl, er sollte unbedingt eine gute Figur machen).
Aber ist es etwa originell, den Kleinen als Piraten zu verkleiden? Bestimmt gehen alle anderen Jungs auch als Piraten. Da fällt mir ein, dass meine Mutter mich bei einer ersten Faschingsfeier im Kindergarten (Purim gab es in unserer schwäbischen Kleinstadt nicht) als »Sternenprinzessin« kostümiert hatte. Aber meinen einzigen Sohn als Prinzen ausstaffieren? Ist doch peinlich, oder?
Wenigstens ist die falsche Wahl des Purim-Kostüms in Deutschland nicht so riskant wie in Israel. Dort hat die zunehmend sittsame Frauenorganisation WIZO zum Boykott von Firmen aufgerufen, die »nahezu pornografische« Purim-Verkleidungen anbieten. Ein Glück auch, dass mein Sohn im Grunewald und nicht in Hebron feiert.
Dort war ich an Purim 2008 auf Recherche-Reise und sah ein Plakat, das die Siedler vor »unangemessenen Verkleidungen« warnte. Man solle auf keinen Fall eine Kefija tragen denn ein als Araber kostümierter Siedler war an Purim 2007 von israelischen Soldaten erschossen worden. Finden Sie das witzig? Ich nicht. Aber wo steht denn auch geschrieben, dass Purim zum Lachen wäre?