Glosse

Der Rest der Welt

Wem »Jude« nicht passt, muss noch lange nicht »Jew« sagen

von Joshua Schultheis  17.11.2024 13:13 Uhr

Seid kreativ, liebe Yudaya-jin! Foto: Charlotte Bolwin

Wem »Jude« nicht passt, muss noch lange nicht »Jew« sagen

von Joshua Schultheis  17.11.2024 13:13 Uhr

Lange haben wir den verklemmten Gojim gesagt: Hört doch endlich auf, vom »jüdischen Mitbürger«, »Angehörigen des Judentums« oder »Mensch mosaischen Glaubens« zu sprechen. Sagt doch einfach: Jude. Es ist ein äußerst brauchbares Wort, weil kurz und präzise. Und nur weil die Nazis es mit Farbe auf Schaufenster gemalt haben, ist es noch längst kein Schimpfwort. Doch diese gerade erst angelaufene Rehabilitierung von »Jude« ist nun schon wieder ins Stocken geraten: Ausgerechnet die junge jüdische Generation sagt statt »Jude« lieber »Jew«, also »Jude« auf Englisch.

Das hat Gründe: Zum einen ist es cooler, weil Englisch meistens cooler ist als Deutsch, zum anderen umgeht man so das Problem des generischen Maskulinums, das ist nämlich uncool. Und dass sich die Variante »Jüdinnen*Juden« von selbst erledigt, braucht keine weitere Erläuterung. Wenn junge Juden junge Juden ansprechen, sagen sie auch mal »Fellow Jews«, und das geht eindeutig nur auf Englisch. »Judengefährten« oder »Judenkameraden« sind zu sperrig und Komposita mit dem Element »Juden« generell vorbelastet – siehe »Judenstern«, »Judenverfolgung« oder »Judenknacks«. Viel spricht also für »Jew«.

Doch Einspruch: Anleihen aus dem Englischen haben eine kurze Halbwertszeit, sind meist schlicht denkfaul, und »Jew« klingt zu sehr wie »chew«, was mir Unbehagen bereitet. Was gibt es also für Alternativen? Viele!

Ausgerechnet die junge jüdische Generation sagt statt »Jude« lieber »Jew«, also »Jude« auf Englisch.

Wie wäre es mit »Hebräer« oder »Israeliten«? Aus diesen Begriffen weht einem geradezu der Wind der Jahrtausende zu, sie drücken die Zugehörigkeit zu einem uralten Volk aus, und gendern lassen sie sich besser als »Jude«. Doch, zugegeben, sie sind auch ziemlich verstaubt. Stattdessen könnte man sich bei Sprachen bedienen, bei denen eine Entlehnung noch etwas origineller ist. Hebräisch »Yehudi« beziehungsweise Arabisch »Yahudi« liegen nahe. Das hat etwas Weltläufiges, und für Synästhetiker schmeckt es nach Falafel. Ich persönlich assoziiere damit jedoch nicht nur Tel Aviver Strände, sondern auch Neuköllner Schulhöfe.

Was geben also andere Sprachen her? In Dänemark sagt man zum Beispiel »Jøde«, was ein tolles Schriftbild hat, sich aber nur unter Würgereiz aussprechen lässt. Auf Ungarisch heißt Jude »Zsidó«, auf Kroatisch »Židov« und auf Tschechisch – ein heißer Kandidat, weil einsilbig – »Žid«. Ausgefallenere Varianten sind das finnische »Juutalainen«, das armenische »Hrea«, das thailändische »Chaoyiw« und das japanische »Yudaya-jin«. Gerade Letzteres sollte für eine Generation, die jeden Tag nach der Schule Animes geguckt hat, doch attraktiv sein!

Eine andere Möglichkeit ist die positive Aneignung von beleidigenden Bezeichnungen. Für Juden existieren davon viele: Heeb, Hymie, Ikey, Ikeymo, Jap, Jidan, Jutku, Kike, Kosmopolit, Sheenie, Shylock und Yid. Es gibt noch andere, aber die lasse ich lieber weg.

Die Auswahl ist also riesig. Wem »Jude« nicht passt, muss noch längst nicht aufs schnöde »Jew« zurückgreifen. Seid kreativ, liebe Yudaya-jin!

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