Noch vor wenigen Monaten wäre ich stolz gewesen, jetzt macht mein Sohn mich nervös: Vor Kurzem verkündete er, nach dem Abitur wolle er in Israel Hebräisch lernen – im Kibbuz. Ich vermutete, ihm war trotz seiner 15 Jahre nicht klar, wie der 7. Oktober 2023 das Land verändert hat. »Mal sehen, was in zwei Jahren in Israel los ist«, wiegelte ich ab.
Habe ich mich in die berüchtigte jüdische Mamme verwandelt? Egal, welche Zukunftspläne mein Kind schmiedet – ich finde sie zu gefährlich. Nach Israel war Harvard dran: »Da könnte ich doch studieren«, malte der Teenager sich aus. »Klar«, sagte ich, »und wer soll das bezahlen?« »Ich kriege ein Stipendium«, behauptete der Sohn. »Der Rest kostet nur ein Zehntel eures Jahreseinkommens.« »Was heißt hier ›nur‹? Du bist weiß und Europäer, warum solltest du ein Stipendium bekommen? Außerdem, in Harvard sind Antisemiten. Bleib lieber erst einmal in Berlin und mach deinen B.A.«, schlug ich vor. »Berlin ist langweilig. Nach der Schule will ich etwas anderes sehen«, insistierte der Sohn.
So etwas kann nur ein Hauptstadtkind sagen, das nicht wie ich in der württembergischen Provinz aufgewachsen ist. Doch warum sollte ein Teenager Dankbarkeit zeigen? Stattdessen kam er wieder mit Israel an. »Ich könnte die Mechina an der Hebräischen Universität Jerusalem besuchen. Und warum redest du nicht endlich Iwrit mit mir?« Dann beugte er sich wieder über das Buch Ruth. Bald macht er Hebraicum, an seinem Gymnasium lernt er Bibelhebräisch. Freiwillig. Ich habe ihn nicht dazu überredet. Oder vielleicht doch?
Habe ich mich in die berüchtigte jüdische Mamme verwandelt?
Die Hebräische Universität Jerusalem … mein Mutterherz müsste höherschlagen. Stattdessen erklärte ich: »In Israel ist Krieg. Keine gute Zeit, Zionist zu sein.« »Lama?« (»Warum?«), fragte mein Sohn. »Mesukan!« (»Gefährlich!«), sagte ich und bläute ihm ein, auf keinen Fall zur Armee zu gehen. »Damit du es weißt: Gegen eine Kampfeinheit habe ich ein Vetorecht. Du bist mein einziges Kind …« Der arme Junge hat nicht nur eine jüdische Mutter, sondern auch noch einen israelischen Pass. Alles meine Schuld – ich selbst habe den Ausweis für ihn beantragt. Warum nur?
»In Deutschland ist es auch ein bisschen gefährlich«, sagte der 15-Jährige. »Komm ein Stück näher«, sagte ich und wollte ihn umarmen. »Mama, ich war gerade joggen«, protestierte der verschwitzte Junge, setzte sich aber tatsächlich neben mich. »Okay, geh duschen. Zioni masriach«, sagte ich. »Hast du gerade ›stinkender Zionist‹ zu mir gesagt?«, fragte der Teenager empört. Offenbar bewirkt alles, was ich tue, das komplette Gegenteil von dem, was ich beabsichtige.
Vielleicht versteht mein Sohn nicht alles, was in Israel passiert – wer tut das schon. Dafür weiß er umso besser, was in Europa los ist – spätestens, seit er auf TikTok die finnische Punktesprecherin gesehen hat, die beim Probelauf des Eurovision Song Contest den Namen »Israel« nicht aussprechen wollte. Aber die Ideen von Teenagern ändern sich jeden Tag, wie mir andere Eltern bestätigen. Und zum Glück machen sie irgendwann genau das, was sie wollen, auch wenn es die jüdische Mutter um den Schlaf bringt!