Neulich war ich zu einem Kiddusch eingeladen, in ein ehemaliges Kloster, jetzt zur Synagoge umfunktioniert, ein morsches altes Gemäuer. Ein bisschen Harry-Potter-Style, etwas vergammelt, mit einem monumentalen, bemoosten Eingangsportal, aber irgendwie ganz heimelig. Als ich am Samstagmorgen geschniegelt und gebügelt in meinen High Heels angestöckelt kam, war der Eingang von einem riesigen morschen Holzkarren versperrt, der einen seltsamen Geruch ausströmte und in einer großen Öl-Lache stand.
Vorsichtig schob ich mich daran vorbei. Die Tür war mit einem Zahlenschloss aus Metall gesichert, ich versuchte, den richtigen Code einzutippen, glitt aber jedes Mal ab, weil die Tasten von einer schmierigen Ölschicht bedeckt waren. Schließlich rettete mich der Hausmeister im fett-fleckigen blauen Overall und schloss das Tor von innen auf.
»Was ist das für ein schmieriger Karren, und warum ist das Eingangsschloss voller Öl?«, fragte ich. »Sehen Sie doch, der Tscholent für den Kiddusch wurde gerade angeliefert, der Tscholent-Karren steht ja noch da, falls Sie den Weg zur Damensynagoge suchen: immer der Ölspur nach, am Kidduschsaal vorbei, Treppe links hoch«, grummelte Mr. Fettfleck.
Ich folgte also der Ölspur – vor allem dem durchdringenden Tscholent-Geruch – und fragte mich, warum wir uns eigentlich jede Woche diesen unsäglichen Schlangenfraß reinziehen, der einem noch tagelang schwer im Magen liegt. Die Antwerpener haben sich im Lauf der Jahre eben einen richtigen Beton-Magen antrainiert, und sowieso: Tscholent und den dazugehörigen schleimigen eingelegten Hering zum Kiddusch essen hier nur die Männer, die Damen knabbern höchstens an den altbackenen Crackern.
Ich kenne keine einzige Person, die einen anständigen Tscholent serviert, außer meiner Mutter und meinen beiden Tanten.
Ich kenne keine einzige Person, die einen anständigen Tscholent serviert, außer meiner Mutter und meinen beiden Tanten, die allesamt das original-ungarische Rezept sorgsam hüten. Das perfekt austarierte Verhältnis von Bohnen, Graupen und Tscholentfleisch ist streng geheim. Klar ist nur: bloß keine Kartoffeln, um Himmels Willen, denn das ist die polnische Variante.
Ich habe außerdem schon von den furchtbarsten Tscholent-Ingredienzen gehört: Eine Freundin von mir gibt (würg!) Ketchup dazu, eine andere schwört auf eine halbe Flasche Cola als Geheimzutat, die dritte ist (grusel!) total stolz auf ihren Tscholent »Hawaii« mit Ananas und Rosinen. Auch von Kaffee, Pflaumen und sogar Chocolate-Chips habe ich schon gehört.
Das »Mishpacha«-Magazin hat neulich eine Umfrage durchgeführt, bei der sich herausstellte, dass 16 Prozent ihren Tscholent lieber süß als salzig mögen, 63 Prozent sich weigern, am Sonntag aufgewärmte Tscholent-Reste serviert zu bekommen und sieben Prozent am Samstagmorgen einfach kein Frühstück herunterbekommen, weil das ganze Haus nach dem Tscholent riecht, der die ganze Nacht im Ofen war.
Zu beneiden sind da unsere Nachbarn in Holland. Bei denen wird meist überhaupt kein Tscholent serviert. Ich habe mir sagen lassen, dass es in Holland zum Kiddusch stets Kaffee und Kuchen gibt, und zum Schabbat-Mittagessen Käsebrot oder Pizza. Über den genauen Grund für diese faszinierende kulturelle Variante schweigen meine Quellen sich aus. Falls Sie dazu nähere Infos haben – Sie wissen ja, wie Sie mich erreichen.