Glosse

Der Rest der Welt

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In die große Synagoge gehe ich nur etwa dreimal im Jahr. Jedes Mal, wenn ich komme, wird das Sicherheitspersonal ausgewechselt. Die jungen Männer mustern mich kritisch, sie haben mich noch nie gesehen. Ich könnte ein Terrorist sein. Nicht unbedingt der sportlichste oder cleverste, aber vielleicht ein Bombenträger.

Ich trete also vor die Schiebetür und weiß, dass sie nicht so schnell aufgehen wird für mich. Ich hoffe, dass ich einmal leichter in den Himmel komme als in diese Synagoge. Stattdessen kommt nun ein Sicherheitsmann auf mich zu. Seine Hosen sind ausgebeult. Hinter seinem Ohr steckt ein Mikro.

bombenleger Zitternd zeige ich ihm den Mitgliedsausweis der jüdischen Gemeinde. Er guckt ihn kritisch an. Ich könnte immer noch ein Bombenleger sein. Mit jüdischem Namen und Mitgliedsausweis.

Er will wissen, ob ich Mitglied der Gemeinde bin. Ich nicke. Wahrscheinlich macht mich das noch verdächtiger. Ich glaube, ich nicke wie ein Terrorist. Ob ich eine Person aus der Gemeinde kenne, werde ich nun gefragt. Ich sage: »Ja, den Rabbi!« Ich weiß sogar, wo er wohnt. Er fährt einen dicken Volvo, und sein Ältester ist verzogen. Aber das sage ich lieber nicht. Dafür muss ich jetzt die Frage beantworten, was ich in der Synagoge eigentlich vorhabe. Das überrascht mich, und ich antworte einen Zacken zu langsam, zu zögerlich: »Zum Beispiel beten.« Aber eigentlich müsste ich zuerst auf die Toilette rennen.

Das überzeugt meinen Freund immer noch nicht. Ich krame aus meinem hebräischen Wortschatz: »Hajom jom huledet«, heute ist mein Geburtstag. Soll ich die jüdischen Monate aufzählen? Aber so etwas können sich auch Terroristen merken.

»Warte!«, befiehlt der Torwächter. Er verschwindet hinter einer Wand und bespricht das weitere Vorgehen.

nicht-terrorist Soll der Typ da rein? Während sie darüber reden, laufen viele Juden an mir vorbei. Die Schiebetür geht auf und zu. Die Kinder gucken mich fragend an. Ich versuche, nicht wie ein Terrorist auszusehen. So leicht ist das nicht. Wie sehen Nicht-Terroristen aus? Ich pfeife. Irgendwann kommt der Sicherheitsmann zurück. Er gibt mir den Gemeinde­ausweis zurück. Ich darf rein! Was hat den Ausschlag für diese Güte gegeben? Ich werde es nie erfahren.

In der Synagoge kommt der Rabbi auf mich zu. Er freut sich, dass ich »wieder einmal« da bin. »Kommen Sie doch häufiger!« Wahrscheinlich mache ich das. Dann erkennen mich die Sicherheitsleute schneller wieder.

Programm

Termine und TV-Tipps

Termine und Tipps für den Zeitraum vom 20. Februar bis zum 27. Februar

 21.02.2025

Berlinale

»Das verdient kein öffentliches Geld«

Der Berliner CDU-Fraktionschef Dirk Stettner hat seine Karte für die Abschlussgala zerrissen – und will die Förderung für das Filmfestival streichen

von Ayala Goldmann  21.02.2025

Bayern

NS-Raubkunst: Zentralrat fordert schnelle Aufklärung

Der Zentralrat der Juden verlangt von den Verantwortlichen im Freistaat, die in der »Süddeutschen Zeitung« erhobenen Vorwürfe schnell zu klären

 20.02.2025

Kolumne

Unentschlossen vor der Wahl? Sie sind in guter Gesellschaft – mit Maimonides

Der jüdische Weise befasste sich mit der Frage: Sollten wir als Kopfmenschen mit all unserem Wissen auch bei Lebensentscheidendem dem Instinkt vertrauen?

von Maria Ossowski  20.02.2025

Berlin

Eine krasse Show hinlegen

Noah Levi trat beim deutschen Vorentscheid für den Eurovision Song Contest an. In die nächste Runde kam er nicht, seinen Weg geht er trotzdem

von Helmut Kuhn  20.02.2025

NS-Unrecht

Jüdische Erben: »Bayern hat uns betrogen« - Claims Conference spricht von »Vertrauensbruch«

Laut »Süddeutscher Zeitung« ist der Freistaat im Besitz von 200 eindeutig als NS-Raubkunst identifizierten Kunstwerken, hat dies der Öffentlichkeit aber jahrelang verheimlicht

von Michael Thaidigsmann  20.02.2025

Literatur

»Die Mazze-Packung kreiste wie ein Joint«

Jakob Heins neuer Roman handelt von einer berauschenden Idee in der DDR. Ein Gespräch über Cannabis, schreibende Ärzte und jüdischen Schinken

von Katrin Richter  20.02.2025

Berlinale

Auseinandergerissen

Sternstunde des Kinos: Eine Doku widmet sich David Cunio, der am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurde, und seinem Zwillingsbruder Eitan, der in Israel auf ihn wartet

von Ayala Goldmann, Katrin Richter  19.02.2025

Berlin

»Sind enttäuscht« - Berlinale äußert sich zu Antisemitismus-Skandal

»Beiträge, die das Existenzrecht Israels infrage stellen, überschreiten in Deutschland und auf der Berlinale eine rote Linie«, heißt es in einer Erklärung des Festivals

von Imanuel Marcus  19.02.2025