Der Startschuss für das große Marathon-Kochen ist längst gefallen: Rund 50 Pfund Fleisch in allen Formen und Größen wollen verarbeitet werden. Meine Mutter ist – wie jedes Jahr vor Pessach – im Schnell- und Vielkoch-Modus. Mich schickt sie dann normalerweise immer in die Stadt zum Kaffeetrinken, weil sie weiß, wie sehr ich Kochen hasse!
Dieses Jahr habe ich aber ausnahmsweise einmal beschlossen, meiner Mutter beim Kochen zu helfen! »Aber Mangilein, du bist doch hier im Urlaub!«, sagt sie wie jedes Jahr und schiebt mich sanft aus der Küche. Aber mein Entschluss steht fest! Gesagt, getan. Meine Mutter beschließt, mich in die Zubereitung der gefüllten Kalbsbrust einzuweisen.
füllung Wir beginnen mit der Füllung. Gekonnt mische ich eingeweichte Mazzot und Margarine, dann noch ein rohes Ei dazu, souverän verquirle ich das Ganze mit Salz, Pfeffer und Mazzemehl. Meine Mutter ist sehr zufrieden. Und jetzt: die Kalbsbrust! Meine Mutter stellt eine Platte mit einem monumentalen, rosa glänzenden, von weißen Fettadern durchzogenen Fleischklumpen vor mich hin. Ich fühle praktisch, wie ich grün im Gesicht werde.
»Und jetzt?«, frage ich mit schwacher Stimme. Meine Mutter zieht zwei rosa Fleischlappen auseinander, der Kloß macht ein leicht schmatzendes Geräusch und öffnet sich wie eine widerwärtige feucht-rosa Handtasche. Mir wird schlecht. »Und jetzt«, verkündet meine Mutter in bester Laune, »jetzt stopfen wir die Fülle hier hinein in diese wunderschöne Fleischtasche, siehst du?« Ich muss kurz aus der Küche, um mich von diesem Eindruck zu erholen.
»Du musst dich erst mit dem Kalbfleisch anfreunden«, ruft meine Mutter mich zurück. »Leg ruhig die Hand darauf. Siehst du? Es tut dir nichts. Und jetzt: rein mit der Fülle in die Fleischtasche. Du kannst es!« Ich stecke mit der Hand in der grausigen rosa Kalbsfleischhöhle, drinnen ist es kalt und glitschig. Ich stehe kurz vor einer Ohnmacht. Meine Mutter reicht mir die Schüssel mit der schleimigen Fülle. Ich halte die Luft an und stopfe den Brei so schnell wie möglich in die Fleischtasche.
nähzeug »Und nun«, trällert meine Mutter in bester Laune, »mein Nähzeug!« Nähzeug, wieso Nähzeug? »Na, um die Fleischtasche zuzunähen! Sonst fällt doch die Fülle beim Braten heraus!« Meine Mutter kramt nach Nadel und Faden.
Mir wird schwindlig, ich sinke auf einen Küchenstuhl und bitte mit ersterbender Stimme um einen starken Kaffee. Da schlendert meine Tochter herein. »Oh cool, was macht ihr da? Darf ich auch mal?« Meine Tochter schnappt sich Nadel und Faden und näht fachmännisch und in Rekordtempo die Fleischtasche zu. »Später will ich mal Tierärztin werden!«, verkündet sie strahlend, aber da ist es schon um meine Fassung geschehen.
Ich stürze würgend auf den Balkon und bekomme gerade noch mit, wie meine Mutter und meine Tochter den Fleischkloß zuerst liebevoll mit Margarine und Gewürzen massieren, etwas Wasser dazugeben und in den Ofen schieben. Drei Stunden schmort der Braten dann im Ofen vor sich hin – und steht einen Tag später als appetitlich knuspriges Pièce de résistance auf dem Sedertisch. Alle Gäste sind begeistert und verlangen nach dem Rezept. Und ich? Ich bin seit Neuestem Vegetarierin.