Für die Jeckes, die deutschsprachigen Juden, war Tel Aviv anfangs die Hölle. Viel zu trocken, zu heiß und unzivilisiert war der Küstenort für die meist aus dem Bildungsbürgertum stammenden Juden, die noch vor der Staatsgründung hierherkamen. »Bitte schön, Herr Doktor! – Danke schön, Herr Doktor!«, sollen sie sich auf den Baustellen zugerufen haben, während sie Ziegelsteine weiterreichten.
Aber auch, wenn sie lange auf ihren Höflichkeitsformen bestanden und selbst in sengender Hitze ihre dunklen Jacketts – übrigens eine mögliche Herkunft des Wortes »Jecke« – nicht ablegen wollten: Die deutschen Juden drückten dem Stadtbild Tel Avivs ihren Stempel auf.
zuwanderung Nun ist der Höhepunkt der deutschen Zuwanderung ins heutige Israel schon beinahe 100 Jahre her. Dass das kehlige – manche sagen: schöne – deutsche Idiom aber aus den Straßen Tel Avivs noch nicht verschwunden ist, konnte ich bei meinem letzten Israel-Urlaub selbst erfahren.
An meinem ersten Tag in der »weißen Stadt« mache ich auf dem Kunstmarkt Nachalat Binyamin die Bekanntschaft von Alejandro Silbermann. Der Kunsthandwerker erzählt mir in fließendem Deutsch, dass er in Argentinien geboren wurde, seine Eltern aber aus Deutschland kamen.
Seit vielen Jahrzehnten wohnt er nun in Tel Aviv, wo er seine kleinen Figürchen aus Pappmaschee, Tiere und Menschen aller Art, auf Märkten feilbietet. Wir quatschen eine Weile, ich entscheide mich für zwei kleine Rabbiner mit winzigen Schildern, auf denen »Schalom« steht, lasse 120 Schekel bei Alejandro und gehe meines Weges.
»Bitte schön, Herr Doktor! – Danke schön, Herr Doktor!«, sollen sich die Jeckes auf den Baustellen zugerufen haben, während sie Ziegelsteine weiterreichten.
Nur etwa 100 Meter den Markt entlang, und ich werde in ein Gespräch mit dem Maler Marius verwickelt. Marius ist in einem kleinen schwäbischen Dorf geboren, wurde später zum Weltenbummler und ist vor einigen Jahren in Tel Aviv gelandet, der »besten Stadt der Welt«, wie er sagt. Hier malt er kleine Ansichten seiner Wahlheimat. Ich kaufe eine für 300 Schekel und habe damit mein Soll an Mitbringseln erfüllt.
Gleich morgens am nächsten Tag fällt mich die deutsche Sprache buchstäblich an: Ein kleiner Hund verbeißt sich an der Strandpromenade in meinen Schuh. Selbstverständlich ist es nicht der Welpe, sondern sein Frauchen, das Deutsch spricht.
Yael hat in Tübingen studiert und freut sich über die Gelegenheit, sich mal wieder mit jemandem auf Deutsch zu unterhalten. Zu verkaufen hat sie nichts, und so kostet mich dieses Gespräch keine Agora.
bio-laden Anders als meine nächste Begegnung: In einem angesagten Bio-Laden steht hinter der Backwaren-Theke eine junge Frau namens Julia. Sie kommt aus Dresden und ist für ein halbes Jahr zum Arbeiten in Israel. Wir sprechen darüber, wie toll, aber teuer Tel Aviv ist, bis ich schließlich auf die keksgroßen veganen Kokos-Pralinen zeige, von denen mir Julia drei Stück à 25 Schekel einpackt.
Während ich kaue, bekomme ich einen Schreck: 25 Schekel? Bei einem Wechselkurs von einem Euro zu dreieinhalb Schekel macht das – 14 Mark! Als ich daraufhin zurückrechne, was ich in den letzten Tagen ausgegeben habe, laufe ich rot an. Deutscher als Tel Aviv ist offenbar nur mein Verhältnis zu Geld.