Tu Bischwat Higia ...» zwitschert es aus Richtung der Kindersitzreihe meines Kleinwagens, während ich mir draußen fast Frostbeulen hole. Beim Freikratzen der Windschutzscheibe trällern meine drei Kinder unermüdlich sonnige Liedchen von Vögelchen und Blümchen, und wie jedes Jahr scheint es mir, dass dieses ganze Tu-Bischwat-Tralala nur eine geschickte PR-Masche des örtlichen El-AL-Reisebüros ist, um verzweifelte tiefgefrorene Aschkenasen in Israels sonnigere Gefilde zu locken.
Auch im jüdischen Kindergarten geht die Festtags-Promo erbarmungslos weiter. Mora Sheindi, die Kindergärtnerin, hat Kreppblümchen und Marienkäferchen auf ihre ausladende Vorderseite geheftet und ist mit glühendem Enthusiasmus und erhitzten roten Bäckchen dabei, das Tu-Bischwat-Programm zu organisieren.
Letzte Woche, bereits im Vorfeld des Festes, hatte sie zum Beispiel versucht, eine Obstsalat-Party mit anschließender Verköstigung zu organisieren. Aber noch bevor die Mora zum Obstschnetzeln schreiten konnte, hatte eine unkon- trollierte Obst-Völlerei eingesetzt – und Mora Sheindi musste händeringend mit ansehen, wie eine ausgehungerte Horde Kleinkinder in Windeseile kiloweise Obst mitsamt Schalen und Kernen verdrückte. Was dazu führte, dass die ganze Mannschaft zu Hause eine dreitägige Rizinusöl-und-Kamillentee-Kur durchstehen musste.
Blumenpflanz-Balagan Als Nächstes auf dem Programm: ein Foto-Wettbewerb zum Thema «Mein schönstes Blümchen wächst auf dem Balkon» – dem heimischen Balkon, wohlgemerkt, denn Mora Sheindi hat für dieses Jahr ihre Lektion gelernt und heimtückisch versucht, den Blumenpflanz-Balagan auf die Elternschaft abzuwälzen. Schon bald hopst also bereits ein erwartungsvolles Rudel Kleinkinder auf meinem Sofa, während mein Mann die Biene-Maja-DVD raussucht und ich schnell zum Gartencenter fahre, um ein Fünfkilopack erstklassige Gartenerde nebst ein paar Schachteln extra-robuste Blümchen zu erstehen.
Als ich den ganzen Kram zusammen mit meinem Mann endlich die Treppe zu Hause hochgewuchtet und im Wohnzimmer abgestellt habe, brauchen wir beide erst einmal einen starken Kaffee und schleppen uns in die Küche. Ein paar Sahnetörtchen warten auch noch im Kühlschrank. Als wir nach einer entspannten Viertelstunde aus der Küche kommen, ist der Sack verschwunden. Die Kinder auch. Nur eine dünne Rieselspur Blumenerde schlängelt sich quer durchs Zimmer.
Zitternd folgen wir der Spur, die erst mal im Badezimmer endet, wo zwei mir völlig unbekannte Kleinkinder in der Badewanne sitzen und Matschkuchen backen. Die Spur führt weiter auf den Balkon, wo ein Rudel Kinder um einen riesigen Erdhaufen sitzt und dabei ist, eine Regenwurmfarm zu bauen. Es ist schließlich noch genug Erde übrig, um den Barbies im Kinderzimmer eine Anti-Aging-Schlammpackung für reinere Haut zu verpassen.
Hier lagert auch der Sack Blumenerde in einer Ecke auf einem Bollerwagen – irgendein Kind mit besonders spitzen Zähnen hat ein Loch in die obere Ecke gebissen. Ich sinke neben dem Blumensack langsam in mich zusammen und erleide einen Nervenzusammenbruch. Worauf die Kids meine günstige horizontale Lage dazu benutzen, mir ein schmeichelndes erdfarbenes Make-up zu verpassen und dies vermittels einer Wegwerfkamera abzulichten. Und so werde ich zur glücklichen Gewinnerin von Mora Sheindis Fotowettbewerb-Hauptpreis: ein Fünfkilosack beste Blumenerde.