So habe ich Berlin noch nie erlebt. Diese große, viel zu große Stadt wirkte auf mich bisher eher gleichgültig, kühl und abweisend. Doch als ich an einem sonnigen Märzwochenende nach einer halbjährigen Pause wieder in die Hauptstadt reiste, stand dort alles im Zeichen einer Flagge und eines Gefühls.
Die blau-gelbe Fahne der Ukraine begegnete mir im Hauptbahnhof gleich nach dem Ausstieg aus dem Intercity-Zug auf einer Tafel, versehen mit einem handschriftlich auf Russisch notierten Hinweis: »Maske tragen!« Die blau-gelbe Flagge entdeckte ich dann auch eher zufällig zwischen lauter bunten Plakaten auf der Eingangstür eines koscheren Supermarktes in Charlottenburg.
Imperium Dort, wo man seit jeher auch von »Charlottengrad« spricht, wo viele Russisch sprechen, egal, aus welcher Ecke des in manchen Köpfen nicht enden wollenden Sowjetimperiums die Menschen kommen. Die Flagge der Ukraine wehte – das war die vielleicht größte Überraschung dieses Berlin-Wochenendes – auch auf dem Bode-Museum und weiteren Kulturtempeln auf der Museumsinsel. Schön, diese Geste, dachte ich, schön symbolisch vor allem! Aber haben sich ebendiese Museen noch vor ein, zwei Monaten mit der Ukraine und ihren Kulturen beschäftigt, wussten sie damals überhaupt von deren Existenz?
So symbolisch das Hissen einer Flagge bleibt, so handfest und konkret ist die Hilfe, die unzählige Freiwillige leisten.
So symbolisch das Hissen einer Flagge bleibt, so handfest und konkret ist die Hilfe, die unzählige Freiwillige leisten, indem sie die aus dem Kriegsgebiet ankommenden Menschen bei ihren ersten Schritten in der Fremde unterstützen. Die unermüdlichen Volunteers sind nicht nur im Hauptbahnhof zu finden: Quer durch die viel zu große Stadt verteilen sich Menschen, die das Notwendigste spenden, Wohnungen zur Verfügung stellen – und damit ein Gefühl überwältigender Hilfsbereitschaft vermitteln.
Gepäck Alles aber kulminiert im Hauptbahnhof, wo viele ukrainische Geflüchtete ankommen. Wenn die Frauen und Kinder mit ihrem Gepäck durch den Bahnhof eilen, auf der Suche nach dem richtigen Bahnsteig, dem nächsten russischsprachigen Helfer oder einer Bleibe für die nächste Nacht, wenn sie dann flüchtig aus der Bahnhofshalle hinausblicken, dann sehen sie das Reichstagsgebäude mit wehenden deutschen Fahnen.
Was mag in den zumeist noch sowjetisch erzogenen Menschen vorgehen, welches Gefühl verbinden sie mit diesem Anblick? Von dieser Frage überwältigt, reiste ich aus Berlin ab – einer Stadt, die sich verwandelt hat.