Manchmal glaube ich, dass 50 Prozent meiner Zeit mit Suchen draufgehen. Vor allem Schlüssel sind meine persönlichen Stressfaktoren: Hausschlüssel, Fahrradschlüssel und Büroschlüssel verschwinden, ich weiß nicht wie, mit schöner Regelmäßigkeit und verwandeln mich dann in ein fieberhaft suchendes Nervenwrack.
Diesmal ist es der Schlüssel meines Arbeitszimmers, der spurlos verschwunden ist. Ich habe die ganze Wohnung durchgesucht, doch vergebens. Wenn ich mein Büro nicht abschließe, spaziert regelmäßig die ganze Bande rein und stört mich beim Arbeiten. Dieser Schlüssel ist wichtig! Hat irgendjemand ihn gesehen? Nein? Habe sogar schon das Türschloss abfotografiert und an mehrere Internet-Schlüsseldienste geschickt, Schlüsselmarke SENCY steht da drauf.
billigmarke Man wird doch wohl diesen Schlüssel nachkaufen können? Nein, kommt die Antwort per WhatsApp. SENCY ist irgendeine Billigmarke, da muss ein neues Schloss her.
Ich lasse also unseren Handwerker kommen, unser ergrautes, zittriges, kettenrauchendes Faktotum namens Pavel, um ein neues Schloss zu installieren. Das neue Teil scheint irgendwie zu groß zu sein, »aber kein Problem«, nuschelt Pavel, Zigarettenstummel im Mundwinkel, »das kriegen wir hin«.
Einige Stunden und Dutzende Zigaretten später ist die Tat vollbracht. Pavel schließt triumphierend die Tür hinter sich und wendet sich zum Gehen.
Nach stundenlangem Schaben und Raspeln liegt ein stattliches Häufchen Sägemehl neben der Bürotür, aber Pavel bekommt das Schloss immer noch nicht montiert. Einige Stunden und Dutzende Zigaretten später ist die Tat vollbracht. Pavel schließt triumphierend die Tür hinter sich und wendet sich zum Gehen. Aber Moment! Ich kriege sie jetzt von innen nicht mehr auf! Hilfe! Verzweifelt hämmere ich gegen die Tür. »Kein Problem«, nuschelt Pavel von der anderen Seite, »das kriegen wir hin.«
heidengeld Weiteres Raspeln, Schaben und Hämmern. Nach einer halben Stunde wird es langsam dunkel. Endlich bin ich befreit, aber jetzt hängt das Schloss locker, und die Tür geht nicht mehr zu. Pavel verschwindet, um neue Zigaretten zu holen und verspricht, morgen wieder vorbeizuschauen. Die ramponierte Tür klappert die ganze Nacht und macht mich wahnsinnig. Am Morgen taumele ich zum Telefon und rufe den Schlüsselservice an, der innerhalb kurzer Zeit für ein Heidengeld das Schloss austauscht.
Einige Wochen später ereignet sich ein kleiner Unfall vor meinem Büro, eine Rollerfahrerin war in ein parkendes Auto reingefahren, lag nun auf der Straße, wollte sich wieder hochrappeln. »Liegen bleiben, nicht bewegen!« Meine Kolleginnen und ich sprangen hinzu (wir hatten gerade einen Erste-Hilfe-Kurs abgeschlossen!). Wir riefen sachkundig einen Krankenwagen, zwangen das (eigentlich ganz muntere) Opfer vorsichtshalber zum Liegenbleiben, deckten es sorgsam mit unseren Mänteln zu.
Ein kurzes »Pling«, irgendetwas fällt aus meinem Mantel. Und auf der Straße, neben unserer Patientin, glänzt ein kleiner Schlüssel der Marke SENCY. Da biegt auch schon der Krankenwagen um die Ecke, das Unfallopfer grapscht sich geistesabwesend den Schlüssel, wird in den Wagen gehievt und entschwindet. Liebes Unfallopfer, falls Sie das lesen: Sie können den Schlüssel ruhig behalten. Pavel bringt Ihnen gerne das passende Schloss vorbei.