Ich habe einen neuen Job. Ich arbeite bei einer Wachschutzfirma. Mehr darf ich Ihnen dazu nicht sagen. Ich musste viele Dokumente unterschreiben, dass ich nichts über die Firma und den Standort erzählen darf. Auch meine Frau und die Kinder dürfen nichts erfahren. Ich nehme das sehr ernst. Was Sie erfahren dürfen: Es handelt sich um eine Baustelle, und ich arbeite neun Stunden pro Tag. Ich laufe um die Baustelle und überwache die Arbeiter.
Was ich genau überwachen muss, weiß ich nicht. Es reicht, dass ich Präsenz zeige. Die Arbeit gefällt mir sehr. Ich bin an der frischen Luft und muss an nichts denken, außer eben darauf achten, dass die Arbeiter nichts Falsches machen. Das einzige Problem, mit dem ich mich seit einem Monat herumschlage, sind die Schuhe, die ich von der Firma bekommen habe. Eigentlich trage ich Größe 42. Die gab es aber nicht. Ich erhielt Sicherheitsschuhe in Größe 41.
baustelle Die ersten Tage waren sehr schlimm. Ich humpelte um die Baustelle und hatte wahrscheinlich ein schmerzverzerrtes Gesicht. Die Bauarbeiter guckten mich irritiert an. So einen Sicherheitsmann hatten sie wohl noch nie gesehen. Am Abend musste mir meine Frau beim Ausziehen der Socken helfen. Als meine Kinder auf die Welt kamen, habe ich nicht geweint. Als meine Tochter eine berührende Rede zu ihrer Batmizwa hielt, habe ich auch nicht geweint. Aber beim Ausziehen der Socken, da habe ich geflennt wie ein kleiner Junge.
Am Abend musste mir meine Frau beim Ausziehen der Socken helfen.
Am vierten Tag lernte ich, dass der menschliche Körper formbar ist. Die Hälfte meines kleinen Zehs war weg. Jetzt schmerzt es nur noch halb.
Eigentlich ist meine Arbeit nicht viel anders als die eines Maschgiachs. Die bärtigen Männer kontrollieren die Küche von jüdischen Restaurants oder stehen beim Melken neben der Kuh. Ich denke, dass ein Maschgiach keinen Kuchen hinbekommt und nicht weiß, wie man melkt. Sie stehen einfach da, so wie ich.
uniform Mein Chef sagte mir zu Beginn, dass ich meine Uniform mit Stolz tragen soll. Das war überflüssig. Ich liebe meine Uniform. Ich sehe aus wie ein Polizist. Nur die Schuhe ärgern mich. Die Bauarbeiter haben sich langsam an mich gewöhnt. Sie wissen, dass ich nur aus Versicherungsgründen um die Baustelle humple. Einer hat mir einmal auf die Schultern geklopft und etwas auf Russisch gesagt. Ich lächelte tapfer.
Manchmal frage ich mich, wie es wohl den anderen Maschgichim auf der Welt geht. Sind die auch stolz auf ihre Arbeit? Dürfen sie über ihre Arbeit erzählen? Und: Tragen sie auch eine Schuhgröße zu klein?