Ich sammle Bücher. Jüdische Bücher. Gebetbücher, Bibeln, israelische Kochbücher, Romane. Viele Leute rufen mich an, wenn ihr Großvater gestorben ist. Ich nehme alles. Viele Bücher sind zerrissen, fleckig oder modern vor sich hin. Egal.
Warum ich seit über 20 Jahren jüdische Bücher sammle, weiß ich nicht. Ich habe einen großen Keller, da liegen sie herum. Von gewissen Gebetbüchern habe ich etwa 50 Exemplare.
Siddurim Niemand braucht 50 zerrissene Siddurim, wie Gebetbücher auf Hebräisch genannt werden. Insgesamt besitze ich vielleicht 1000 Siddurim. Manchmal gehe ich in den Keller und blicke mit Stolz auf die vielen Gebetbücher. Wie viele Tränen wurden darin vergossen? Lange halte ich es allerdings im Gewölbe nicht aus. Es riecht ziemlich streng.
Im hinteren Teil des Kellers sind einige Bücherberge bereits in sich zusammengefallen. Ich würde sie gerne wieder aufrichten, aber ich komme einfach nicht durch. Es ist dunkel da unten, uneben, stickig und – eben – stinkig.
So macht Büchersammeln keinen Spaß. Ich habe mich deswegen durchgerungen, einen Teil der 1000 Bücher zu entsorgen. Das Problem aber ist: Jüdische Bücher kann man nicht einfach in die Tonne werfen. Sie sind heilig.
Kochbuch Zum Glück gibt es Auswege und viele Hintertürchen, dafür ist unsere Religion ja bekannt. Wegwerfen ist nicht gleich entsorgen. Bei uns in der öffentlichen Badeanstalt gibt es zum Beispiel neben der Umkleidekabine eine Bibliothek. Leute entsorgen da ihre Ratgeber, Kochbücher, Simmel- und Konsalik-Bücher.
Die Bibliothek wird jedes Jahr größer, weil ja nicht mehr gelesen wird. Gebetet wird aber immer, vor allem während der Pandemie. Vor mir hat leider noch niemand 100 Siddurim in die Regale neben der Frauenkabine gelegt.
Der Bademeister hat zum Glück nicht zugeguckt. Was ich aber beobachten muss, ist das Desinteresse der Badenden an meinen heiligen Büchern. Ich lege mich bewusst so hin, dass ich die Frauenkabine und die heiligen Bücher im Blickfeld habe.
tradition Viele blättern zwar durch die jüdischen Gebetbücher, aber mitgenommen werden sie nicht. Keines. Ich weiß das, weil ich jeden Sonntag den Bestand zähle. Das erschüttert mich. Bin ich der Einzige im Schwimmbad, der sich für jüdische Tradition interessiert?
Letzten Sonntag waren die Bücher aber plötzlich weg. Und zwar alle. Ein Glaubensgenosse hat sie eingepackt – und mich am Abend angerufen. Er hätte da eine Überraschung für mich.