Ich suche gerade einen Job. Irgendwas mit Journalismus. Mit meinen 44 Jahren bin ich für vieles zu alt. Ich hasse Facebook und Instagram, das sage ich auch in den Vorstellungsgesprächen. Zu vielen werde ich allerdings nicht eingeladen. Die Frau in der Arbeitsvermittlung schärft mir immer wieder ein, dass ich mich in den sozialen Netzwerken dynamischer präsentieren soll.
Ich glaube nicht, dass das etwas bringt. Ich bin nicht dynamisch. Wenn ich mich beschreiben muss, fallen Ausdrücke wie faul, gelangweilt, hobbylos. Vergangene Woche wurde ich dann doch zu zwei Vorstellungsgesprächen eingeladen. Das hat mich sehr gefreut. Ich habe mich sogar rasiert. Eigentlich verliefen beide Gespräche gut. Ich sagte nicht, dass ich faul und gelangweilt sei. Ich sagte auch nicht, dass ich Facebook, Twitter und Instagram zutiefst verabscheue. Nein, ich gab vor: »Im Geist bin ich eigentlich wie 20.«
Max Frisch Beide Male fragte mich dann der Chefredakteur: »Und, welches Buch lesen Sie gerade?« Zweimal geriet ich ins Stottern. Das letzte Buch, das ich wirklich bis zum Ende gelesen hatte, stammte aus der Abizeit. Etwas von Goethe oder Max Frisch. Ich weiß es nicht mehr.
Für einen Juden natürlich peinlich. Ich bin ja ein Vertreter des Volkes des Buches. Zumindest denken viele Nichtjuden, dass wir Büchernarren sind und auch auf der Toilette lesen. Das tue ich nicht. Ich lese keine Bücher auf der Toilette.
Ich antwortete: »Ich lese prinzipiell keine Bücher.« Als ich das sagte, dachte ich mir: Das hörte sich jetzt sicher wie ein Covidiot an – »prinzipiell«. So antworten Leute, die keine Masken tragen und sich nicht impfen lassen wollen.
Nicht nur ich dachte so, ziemlich sicher auch beide Chefredakteure. Sie guckten mich bestürzt an. Ein Journalist, der keine Bücher liest? Das ist wie ein Chirurg ohne Hände. Oder ein Systemkritiker. Auf jeden Fall suche ich noch immer einen Job.
Bibel Im Prinzip lese ich schon ein Buch, die Bibel. Jede Woche einen Abschnitt. Aber wer geht heutzutage aus der Deckung und sagt: »Mein Lieblingsbuch? Die Bibel!« Wie reagieren da wohl HR-Frauen – die aus der Personalabteilung?
Und als mein Lieblingsbuch würde ich die Bibel auch nicht bezeichnen. Mich stört zum Beispiel, dass viele Berufe vorkommen: Fischer, König, Hirt, Makler, Hausfrau, Musiker, Hure. Aber: Journalist fehlt. Die Medienkrise ist also nicht unbedingt neu. Wie weiter? Zum Glück arbeitet die Frau. Ich könnte also auch etwas Neues suchen. Also, wenn es nichts wird, dann sattle ich um. Auf Fischer, König, Hirte. Makler, Hausfrau, Musiker oder …