Er hatte Triefaugen, die klassische Pomadenfrisur, eine rote Cholerikervisage – und er war der Stoff meiner Viertklässler-Albträume. Mein Klassenlehrer Herr P., der dummerweise auch Sportlehrer war und es auf moppelige, kurzbeinige Kinder wie mich abgesehen hatte.
Er hatte eine schnarrende Stimme und eine schrillende Trillerpfeife, mit der er uns wie eine aufgescheuchte Hühnerschar durch die Turnhalle trieb, mal tonnenschwere Medizinbälle schleppend, mal auf einem Bein hüpfend. Pfröööt, pfröööt!, machte die Trillerpfeife, gnadenlos. Und wenn irgendwann alle nur noch keuchend in den Seilen hingen, dann, und erst dann, kam das Dessert, die Kirsche auf dem Törtchen sozusagen: Und das war ich.
lebensmotto Mit Trillerpfeifenstakkato wurde ich durch die Turnhalle gejagt, die Zunge hing mir aus dem Hals, und in meinem unschuldigen kleinen Viertklässlerhirn kochten Giftmordfantasien. So ging ein langes Schuljahr vorbei, und als ich endlich in die fünfte Klasse versetzt wurde, hatte ich mir ein neues Lebensmotto erarbeitet: No sports! Und nie wieder Trillerpfeifen in einem Radius von 50 Metern um mich herum! Daran habe ich mich bis heute gehalten. Sie existieren nur noch in meinen Albträumen, und ich genieße mein sportfreies Leben in vollen Zügen.
Ich dachte, ich gehe auf Nummer sicher und schiebe für den Rest meines Lebens eine ruhige Kugel, wenn ich jemanden heirate, der genauso moppelig ist wie ich. Ein guter Plan. Bis mein Mann auf die hirnverbrannte Idee kam, eine Diätberaterin zu engagieren, 20 Kilo abzunehmen und Joggen zu seinem neuen Hobby zu machen.
Ich dachte, ich gehe auf Nummer sicher und schiebe für den Rest meines Lebens eine ruhige Kugel, wenn ich jemanden heirate, der genauso moppelig ist wie ich.
Es folgten viele einsame Abende auf dem Sofa, in Gesellschaft von Ben & Jerry’s, denn mein Göttergatte war ja auf der Joggingpiste … bis der Moment eintraf, den ich gefürchtet hatte. Als Geburtstagsgeschenk getarnt, überreichte er mir einen Gutschein für einen Jahres-Jogging-Kurs.
Nach einer unruhigen Nacht voller Albträume, in denen ich von elefantengroßen Trillerpfeifen gejagt wurde, quälte ich mich in meinem viel zu knapp sitzenden Jogginganzug auf die Piste des örtlichen Sportvereins zu meiner ersten Stunde.
tipps Der Trainer hieß Dirk Jan, war um die 60 und hatte es an der Hüfte, sodass er leider nicht mitjoggen könne, meinte er. Er würde mir aber wichtige Tipps geben und mich anfeuern. Und los ging’s. Dirk Jan setzte sich gemütlich auf eine Bank und ließ mich eine volle Stunde lang Runden drehen, begleitet vom nervigen Getriller seiner Pfeife. Drei Minuten laufen! Triller, triller! Drei Minuten Gehen! Triller! Laufen, gehen!
Nach einer Stunde war ich ein schweißgetränktes Wrack und kroch auf allen vieren zurück zum Auto. Aber dann … auf einmal fühlte ich mich, wie soll ich es beschreiben, fantastisch, richtig high irgendwie. Ich googelte und fand heraus, was neueste Forschungen ergeben haben: Ganz egal, wie moppelig und unsportlich man ist oder wie langsam man joggt – nach ungefähr 60 Minuten Durchhalten sprudeln die Endorphine und bleiben danach noch stundenlang im Körper. Nächste Woche bin ich wieder auf der Piste … und meine Trillerpfeifen-Albträume sind längst überwunden.