Finale

Der Rest der Welt

Vom Ridnauntal bis zur Schutzhütte Becherhaus auf dem Gipfel des Bechers sind es etwa 1800 Höhenmeter. Foto: picture alliance / DUMONT Bildarchiv

Schon mal vom Becherhaus gehört? Der höchsten Schutzhütte Südtirols, gelegen über dem Übeltalferner auf dem Gipfel des Becher? Falls Sie es noch nicht wussten, der Übeltalferner ist der größte Gletscher der Stubaier Alpen. Wer zum Becherhaus will – es liegt auf einer Höhe von 3195 Metern –, muss über den Gletscher wandern. Ich bin noch nie über einen Gletscher gewandert, aber ich habe im Internet alles über das Becherhaus gelesen. Und ich will da unbedingt hin.

»Spinnst du?«, fragt mein Mann. »1800 Höhenmeter an einem Tag? Das schaffst du nie. Und ich habe keine Lust, auf einer Hütte zu übernachten.« Die Wahrheit ist, ich habe auch so meine Zweifel. Erstens habe ich im Homeoffice drei Kilo zugelegt. Zweitens wird mir beim Skifahren in höheren Lagen schlecht.

KAMILLENTEE Einmal endete der Skiurlaub damit, dass ich in der Hütte des Alpenvereins Kamillentee schlürfen musste und meine Freunde mir von den tollen Abfahrten vorschwärmten, die ich verpasst hatte. Aber das lag bestimmt nur am Sessellift. Jetzt will ich wandern, nicht Skifahren. Und 1800 Höhenmeter zu Fuß sind doch ein Kinderspiel in puncto Höhenanpassung – im Gegensatz zum rasenden Aufstieg per Lift!

Da wäre leider noch Punkt drei: Nach jetzigem Stand der Dinge sind Einreisende in Italien die ersten fünf Tage quarantänepflichtig. Aber man kann ja auch im Hotelzimmer vom Gletscher träumen. Punkt vier: Wer darf zu Corona-Zeiten in einer Schutzhütte übernachten? Wahrscheinlich nur Geimpfte. Alles in allem keine Top-Voraussetzungen für eine große Bergtour in Südtirol. Aber die Hoffnung stirbt zuletzt.

»Wenn die Alpen glühen, bleibt die Welt stehen«, behauptet die Website bergwelten.com. Ich möchte, dass die Welt stehen bleibt. Auf dem Übeltalferner – wie das klingt! Ein absoluter Kontrapunkt zu Microsoft Teams! So jung komme ich nie wieder auf einen Gletscher. Warum sollte meine Kondition im nächsten Jahr besser sein? Vielleicht ist der Gletscher dann schon geschmolzen, und ich habe die letzte Gelegenheit verpasst, ihn mit eigenen Augen zu sehen?

wanderschuhe Ich suche im Internet jetzt nach Wanderschuhen, Stöcken und Steigeisen. Und nach einem Seil. Auf dem Übeltalferner gibt es angeblich nur wenige Spalten, aber man weiß ja nie, was bei einer Bergtour so alles passiert.

Irgendwer wird jetzt meckern, dass in diesem Text der jüdische Bezug fehlt. Stimmt aber nicht, in der Eiszeit war vielleicht auch der Sinai ein Gletscher. Außerdem hatten wir schon mal einen Artikel unter dem Titel »Der koschere Gebirgsjodler«! Den übe ich jetzt bei den Redaktionskonferenzen zur Melodie von »Schau, das Alpenglühn übern Bergsee«, während meine Kollegen immer noch glauben, dass ich die Stummschaltung nicht aufheben kann.

Und kennen Sie schon den Witz von den jüdischen Schwaben in der Gletscherspalte? Die hatten den Übeltalferner unterschätzt und wurden erst nach drei Tagen intensiver Suche entdeckt. »Hier ist das Rote Kreuz!«, riefen die Bergretter mit dem Megafon in die Tiefe. Antwort aus der Gletscherspalte: »Baruch Haschem! Mir gebet nix!«

Meinung

Nan Goldin: Gebrüll statt Kunst

Nach dem Eklat in der Neuen Nationalgalerie sollte Direktor Klaus Biesenbach zurücktreten

von Ayala Goldmann  25.11.2024

Hochschule

Das Jüdische Studienwerk ELES feiert sein 15. Jubiläum

Als Begabtenförderungswerk will es junge jüdische Studenten auch weiter für das Gespräch stärken - gerade in Zeiten von Krisen und Konflikten

von Stefan Meetschen  25.11.2024

Rezension

Trotzki-Biograf und Essayist

Isaac Deutschers Band »Der nichtjüdische Jude« zeigt Stärken und Schwächen des eigensinnigen Historikers

von Marko Martin  25.11.2024

Sehen!

Fluxus in Köln

Das Museum Ludwig widmet Ursula Burghardt und Ben Patterson eine Doppelausstellung

von Katharina Cichosch  24.11.2024

Amos Oz

Der Fehlbare

Biograf Robert Alter würdigt den Literaten und politischen Aktivisten

von Till Schmidt  24.11.2024

Glosse

Der Rest der Welt

Schweißausbrüche, Panikattacken und eine Verjüngungskur auf dem Podium

von Margalit Edelstein  24.11.2024

Kulturkolumne »Shkoyach!«

Wenn Fiktion glücklich macht

Shira Haas und Yousef Sweid sind in »Night Therapy« weitaus mehr als ein Revival der Netflix-Erfolgsserie »Unorthodox«

von Laura Cazés  24.11.2024

Aufgegabelt

Boker tow: Frühstück

Rezepte und Leckeres

 24.11.2024

Auszeichnung

Historiker Michael Wolffsohn erhält Jugendliteraturpreis

Deutsche Akademie für Kinder- und Jugendliteratur würdigt Engagement in der Geschichtsvermittlung

 23.11.2024