Finale

Der Rest der Welt

Über meine liebsten Segenssprüche – und deren politische Korrektheit

von Beni Frenkel  22.04.2021 09:17 Uhr

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Über meine liebsten Segenssprüche – und deren politische Korrektheit

von Beni Frenkel  22.04.2021 09:17 Uhr

Einhundert Segenssprüche muss der religiöse Jude aufsagen – pro Tag. So schwierig sich das anhört – in der Praxis häufig kein Problem. Wer einen Apfel isst, sagt einen Segensspruch vor dem ersten und einen nach dem letzten Bissen. Und schon muss man nur noch 98 Segenssprüche machen.

Frau Wenn ich auf Arbeit einen Kaffee trinke, nuschle ich ebenfalls zwei Segenssprüche vor mich hin. Aber so leise, dass die Kollegen nichts davon mitbekommen. Wer das jahrelang so macht, lernt fast Bauchreden.
Ob ich einen Lieblings-Segensspruch habe? Gewiss: »Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, Der mich nicht als Frau erschaffen hat.« Er befindet sich auf Seite 24 meines Gebetbuches. Das ist der einzige, den ich laut lese, um meine Frau zu ärgern.

Den Rabbinern ist der Spruch etwas peinlich. Er steht ein bisschen im Widerspruch zu all den Beteuerungen, dass die jüdischen Frauen ihren Männern gleichgesetzt werden. Unsere Weisen erklären den uralten Vers mit dem Hinweis, dass wir Männer halt so viele Gebote erfüllen dürfen und deswegen jeden Morgen dem Ewigen, unserem Gott, König der Welt, dafür danken. Ich finde diese Erklärung nicht so einleuchtend. Wenn dem so wäre, könnten wir ja dem Ewigen direkt für die vielen, vielen Pflichten danken. Ich mag den Segensspruch trotzdem, weil er so überhaupt nicht in die politische Landschaft passt.

Schwein Hätten die damaligen Autoren im 21. Jahrhundert gelebt, hätten sie einen anderen Spruch niedergeschrieben: »Gelobt seist Du, Ewiger, unser Gott, König der Welt, Der mich hübscher als ein Schwein erschaffen hat.« Damals kamen auch andere Sachen ins Gebetbuch, die heute wohl der Zensur zum Opfer fielen. Wie zum Beispiel der Segensspruch »beim Anblick eines Zwerges oder Riesen«. Ich empfinde die Segenssprüche häufig als ein Korsett.

Jeden Tag muss ich die gleichen Verse aufsagen. Ich kann sie natürlich längst auswendig herunterrattern. Spaß oder Inbrunst sieht anders aus. Warum nicht anders? Zum Beispiel einen Dank-Segensspruch, wenn die böse Nachbarin einen Brief mit Zahlungsaufforderung bekommen hat. Oder einen Bittspruch, dass die Predigt am Schabbat ausfällt, verschoben oder für immer gestrichen wird. Oder dass der Handy-Akku noch etwas hält.

Andererseits verstehe ich das Argument, dass man das Gebetbuch nicht alle 20 Jahre neu überarbeiten kann. Und manche jahrhundertealten Segenssprüche haben sich zum Glück gehalten. Nach dem Dankesspruch, nicht als Frau erschaffen worden zu sein, preisen wir Gott, dass er uns Augen zum Sehen gegeben hat. Zum Beispiel Frauen. Spätestens dann bereuen wir es, nicht als Frauen auf die Welt gekommen zu sein.

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