Vor mehr als 50 Jahren in der DDR: Kommt ein Mann in die Mitropa am Leipziger Hauptbahnhof und verlangt Pralinen. Der Verkäufer zeigt auf eine verstaubte Schachtel im Regal. »Ich hatte an etwas anderes gedacht«, sagt der enttäuschte Kunde. »Ich denke immer an etwas anderes. Das hilft«, sagt der Verkäufer.
DDR Corona ist ein bisschen wie DDR in der Anekdote von Christoph Hein: Seit fast einem Jahr denke ich an etwas anderes. Zum Beispiel an Israel. Meine halbe Verwandtschaft ist schon gegen Corona geimpft. Ich muss noch monatelang warten. Allmählich habe ich die Schnauze voll.
An etwas anderes zu denken, hat mir sehr geholfen. Mir war nämlich schon Mitte Januar klar, dass Bibi Netanjahu aus Angst vor Virusmutationen den Ben-Gurion-Flughafen schließen wird. Aber so leicht lasse ich mich nicht aussperren. Wozu habe ich einen israelischen Pass? Mit dem letzten Flieger und einer FFP3-Maske bin ich nach Tel Aviv gereist und sitze jetzt in einer Quarantänewohnung in Herzliya-Pituach. Auf dem Balkon scheint die Sonne! Das Meer ist auch nicht weit!
Zoom Den Kunstdruck von Franz Marc aus meiner Berliner Küche habe ich auch eingepackt und hier in Herzliya an die Wand gehängt. Bei jeder Zoom-Konferenz unserer Redaktion (same procedure as every Thursday) grüßt das blaue Pferd von der Wand. Meine Kolleginnen und Kollegen fallen da voll drauf rein und glauben, ich sei immer noch in Friedenau.
Der Wintereinbruch in Deutschland ist eine Herausforderung, bei 20 Grad plus in Israel ist es schwierig, Schnee zu simulieren. Aber bis Donnerstag ist der bestimmt geschmolzen. Ansonsten bastele ich eine Fensterkulisse aus Watte. Bis zur zweiten Impfung muss die Maskerade weitergehen! Sicherheitshalber stelle ich das Mikrofon stumm und sage in den Konferenzen gar nichts mehr, damit die Kollegen nicht hören, wie meine israelischen Nachbarn sich auf Hebräisch anschreien.
Telefon Die traurige Wahrheit ist leider: Diese Geschichte habe ich mir ausgedacht. Ich weiß nicht, wie man Telefone so programmiert, damit keiner merkt, dass ich im Ausland bin. Überhaupt kann ich nicht so einfach nach Israel fliegen, meine Familie ist schließlich auch noch da. Ich sitze immer noch in Berlin in der Küche. Ich würde gerne an etwas anderes denken, aber fast alles, was Spaß macht, ist verboten.
Am Wochenende war mein Sohn Schlittenfahren. Bis die Polizei kam und die Kinder nach Hause schickte – wegen der Abstandsregeln. Den Polizisten hat es auch keinen Spaß gemacht. Wahrscheinlich haben sie an etwas anderes gedacht, an Pralinen oder so.
Zum Glück steht Purim vor der Tür. Natürlich keine Party, aber immerhin hat eine Berliner Synagoge zu einer Online-Feier eingeladen, bei der getrunken werden darf, bis der Teilnehmer »OP-Masken nicht mehr von FFP2-Masken unterscheiden kann«.
Das klingt doch nach einer tollen Veranstaltung, ich glühe schon mal vor. Erinnern Sie mich an Purim bitte daran, rechtzeitig den Bildschirm auszuschalten, bevor mich jemand mit dem blauen Pferd verwechselt.