Wer hätte das gedacht: Ich lebe seit mehr als 23 Jahren in Deutschland! Sie können mich jetzt zu Recht »Alteingesessener« nennen. Und mit meinen 36 Jahren gelte ich ohnehin bald als »alter weißer Mann«.
Aber darum soll es hier nicht gehen. Ich möchte Ihnen nämlich etwas gestehen. Bitte leiten Sie das nicht ans zuständige Integrationsamt weiter! Denn nach fast zwei Dutzend Jahren verstehe ich einige grundlegende Dinge, die sich in diesem Land abspielen, nicht.
Münze Okay, anfangs habe ich noch darüber gestaunt, dass man einen Chip oder eine Münze in den Einkaufswagen stecken muss. Auch dass sich Türen in Zügen der Deutschen Bahn nicht selbstständig öffnen, kam mir außerirdisch vor. Aber daran habe ich mich schon lange gewöhnt.
Was mir aber bis heute Integrationskopfschmerzen bereitet, sind Szenen, die sich Wochenende für Wochenende – zumindest bei uns in Frankfurt – abspielen. Jeden Sonntagmorgen stehen unzählige Menschen – merkwürdigerweise vor allem Männer in bequemer Jogginghose – vor einer Bäckerfiliale an. Sie tun es mit einer Leidenschaft und Hingabe, die sich mir einfach nicht erschließt.
Noch eigenartiger finde ich, dass die Jogginghosenträger den Laden nach erfolgreichem Anstehen mit einer übervollen Brötchentüte verlassen. Deren Inhalt müsste locker für drei Familien reichen! Ich hoffe ja, dass bald eine große Wochenzeitung oder ein Nachrichtenmagazin mit dem extrem verkaufstauglichen Titelthema »Wir backen das – Diese Brötchen helfen uns jetzt durch die Krise« erscheint. Ich lese es garantiert!
Ritual Aber auch ein anderes Sonntagsritual habe ich in 23 Jahren nicht entschlüsseln können. Wissen Sie, warum sich so viele Deutsche aus voller Überzeugung den Tatort ansehen? Nicht wenige halten diese beamtengraue Krimiserie für Fernsehavantgarde. Ich hoffe, dass entsprechende Kenntnisse nicht beim Einbürgerungstest abgefragt werden. Denn ich wünsche wirklich niemandem die erzwungene Bekanntschaft mit dieser Serie!
Last, but not least möchte ich über das wohl rätselhafteste deutsche Alltagsphänomen sprechen: »An Weihnachten nach Hause fahren«. Vor allem Großstädter scheinen es regelrecht zu zelebrieren. Fühlen die sich denn in ihrer Stadt, ihrem Viertel, ihrer Wohnung nicht zu Hause? Das frage ich mich jedes Mal, wenn ich »zwischen den Jahren« durch die leeren Straßen Frankfurts schlendere.