Wenn alle Juden (und selbstverständlich auch alle Jüdinnen) an einem Tag alle Mizwot halten, wird der Messias kommen – so lehren unsere Weisen seit Jahrhunderten.
KLAPPHANDY An mir soll es nicht scheitern: Ich nehme mir jetzt schon vor, rechtzeitig vor Schabbateingang das iPhone auszuschalten. Stattdessen greife ich zu meinem alten Klapphandy, von dem ich mich aus nostalgischen Gründen nicht trennen kann, verzichte also am siebten Tag der Woche auf das Internet. Ob das als Mizwa durchgeht, am Schabbat nur eines von zwei Mobiltelefonen zu benutzen? Oder wenigstens als halbe Mizwa?
Kommt darauf an, welchen Rabbiner man fragt. Ich bin jedenfalls wild entschlossen, meinen Anteil am »Tikkun Olam«, der Verbesserung der Welt, zu erbringen – auch wenn ich selbst niemals in der Lage sein werde, alle 613 Tora-Gebote einzuhalten. Doch seit Beginn von Corona ist es nicht leichter geworden, ein besserer Mensch zu sein: Mancher Versuch, eine »Mizwe« zu machen – und das meine ich jetzt nicht als Gebot, sondern im Sinn einer guten Tat –, läuft direkt ins Leere.
EINKAUFEN Meine Nachbarn (viele sind über 80) wollen lieber alleine einkaufen und lehnen jede Hilfe freundlich ab. Die einzige ältere Dame in unserem Haus, die sich Getränke besorgen lässt, versteht die Abstandsregeln nicht: Wenn man ihr die Flaschen vor die Wohnung stellt, reißt sie die Tür auf, um sich ausgiebig zu unterhalten. Das war es also mit der Mizwe – keine Cola und kein Wasser für meine Nachbarin.
Und was mache ich jetzt? Meine Mutter wohnt in Süddeutschland. Im Sinn der Corona-Mizwot ist es eine gute Tat, sie nicht zu besuchen. Es ist eine noch bessere Tat, überhaupt niemanden zu besuchen. Nur: Eine richtige Mizwe fühlt sich einfach anders an!
Glückstagebuch Man könnte natürlich auch argumentieren, in diesen Tagen sei es schon eine Mizwe, nicht schlecht gelaunt zu sein … Leicht ist das nicht immer, obwohl die mittlerweile zweite Quarantäne in unserer Wohnung zum Glück endlich vorbei ist. Aber ist ein Tag ohne Streit schon eine gute Tat? Psychologen raten zu Glückstagebüchern, aber was soll ich da reinschreiben? »Heute weder Mann noch Sohn angemotzt und meinen Kolleg/innen vier Smileys und drei Sonnen per Slack geschickt«? Irgendwie kein ausreichender Output.
Doch zum Glück gibt es den Mitzvah Day des Zentralrats der Juden! Und auf der Webseite finden sich naheliegende Ideen für gute Taten, auf die ich alleine nicht gekommen wäre: bei der örtlichen Tafel haltbare Lebensmittel spenden, bei Obdachlosenhilfen nachfragen, was gebraucht wird.
Blutspenden Mein persönlicher Favorit ist Blutspenden – habe ich seit Jahren nicht mehr gemacht. Der Vorteil: Man muss nicht gut gelaunt sein, auch grantige Blutspender sind bestimmt willkommen. Ich bin sicher, die Spenden sind nötiger als je zuvor.
Jedenfalls habe ich mich gerade beim DRK angemeldet. Jetzt fühle ich mich schon ein bisschen besser. Auch wenn der Messias mutmaßlich nicht schneller kommt als der Impfstoff: Jede tut bis dahin eben, was sie kann!