Es ist Sommer-Saure-Gurken-Zeit! Mir fällt nichts mehr ein: außer, ach ja, hier, ganz exklusiv und nur für Sie – meine Lieblingsstory von meinem Lieblingsonkel Arthur. Wir schreiben das Jahr 1961, Arthur ist sieben Jahre alt. Seine Familie hatte nach 14 Jahren Wartezeit endlich eine Ausreisegenehmigung aus Rumänien erhalten. Sie will Alija machen.
Die Familie wird vom Staat Rumänien recht unsanft vor die Tür gesetzt, die Pässe werden einbehalten. Von da an sind sie staatenlose Flüchtlinge. Ihren gesamten Besitz, ihre Wohnung und alles Spielzeug mussten sie dalassen – nur ein kleiner Koffer durfte außer Landes gebracht werden.
Familie Zwischenstopp war die Stadt Antwerpen, wo Arthur Familie hatte. Hier, in dieser sehr, sehr religiösen Stadt, schien alles so fremd und anders: Überall nur schwarze Kleidung, Pejes und Strejmel, und alle redeten in einem sehr schnellen Jiddisch, sodass Arthur meist kein Wort verstand, denn er konnte nur Ungarisch.
In Antwerpen sind alle – Juden wie Nichtjuden – ständig per Fahrrad unterwegs. Arthur, der gar nichts mehr hatte, der nichts besaß auf dieser Welt außer seinem kleinen abgeschabten Koffer, wünschte sich nur eine einzige Sache: ein Fahrrad.
Arthurs Onkel und dessen Familie waren so freundlich und großzügig zu ihm, er traute sich nicht, sie um noch etwas zu bitten. Eines Freitagnachmittags kommt der Onkel auf Arthur zu und sagt das magische Wort: »Bitsikli« – Ungarisch für »Fahrrad«.
Ohren Arthur traut seinen Ohren nicht. »Bitsikli?«, stammelt er, und der Onkel lächelt. Arthur kann sein Glück nicht fassen. Der Onkel nimmt ihn bei der Hand, und los geht’s. Es wird schon langsam dunkel. Arthur sorgt sich, ob die Fahrradgeschäfte so spät noch aufhaben, aber er sagt nichts. Schließlich kommen sie in einen kleinen Hinterhof. Hier drängen sich Hunderte schockelnder Chassidim in ihren schabbesdigen Strejmeln.
Ob die wohl auch alle für ein Fahrrad anstehen?, fragt Arthur sich bange. »Bitsikli?«, fragt er meinen Onkel nochmals. Aber der Onkel hört ihn nicht, denn inzwischen hat sich die Menge geteilt, und ein weißbärtiger Rabbiner betritt das Podium. Laute Rufe sind zu hören: »Reb Bitsikli! Reb Bitsikli!«
Der Onkel deutet lächelnd auf den Rabbi und sagt stolz: »Der berühmte Reb Itsikel persönlich, siehst du? Ich hatte es dir versprochen. Genieß diesen kostbaren Moment, mein Junge!« Arthur versteht. Es war die ganze Zeit nicht von Bitsikli die Rede, sondern von Itsikel, Reb Itsikel.
Tränen Er bricht in Tränen aus. Viele Monate später, als die Familie endlich in Israel angekommen ist, schickt der Onkel per Post ein brandneues glänzendes Fahrrad, und alle Kinder der Straße stehen Schlange, um es zu bewundern.
Und Reb Itsikel? Ich habe herumgefragt und herausgefunden, dass es sich um Rabbi Jitzchak »Itsikel« Gewirzmann, den geliebten Rebben der Pshevorsker Chassidim, handelte, der an Jom Kippur 1977 starb.
Er wird heute noch oft erwähnt, denn in seinem Namen besteht ein »Gemach«, ein Wohltätigkeitsfonds: der Gemach der Chassidei Jitzchak. Wer in Antwerpen keine Mittel hat, um sich eine Wohnung zu kaufen (oder ein Fahrrad), kann sich bei den Chassidim von Reb Itsikel zinsfrei Geld leihen.