Bevor die Kinder in den religiösen Kindergarten gingen, wusste ich bereits: Jetzt brauchen wir bald viele Rollen Tesafilm. In religiösen Kindergärten erhalten die Mädchen und Jungen nämlich viele Diplome.
Der Anlass kann ziemlich niederschwellig sein. Zum Beispiel, wenn sie einmal alle hebräischen Buchstaben schön ausgemalt oder das erste Kindergartenjahr bestanden haben.
Osteuropa Die Diplome selbst sehen aus wie alte akademische Urkunden, mit geschwungenem Schriftzug über einer ausgebreiteten Pergamentrolle. Ähnlich sehen wohl gekaufte Doktortitel aus Osteuropa aus.
Unsere drei Kinder haben jeweils drei Jahre diesen streng religiösen Kindergarten besucht. In der Küche hingen also neun Graduierten-Diplome. Für jedes überstandene Kindergartenjahr eines.
Wenn ich ehrlich bin, sind mir diese vielen Diplome ein Gräuel.
Irgendwann gab es in der Küche keinen Platz mehr für weitere Diplome. Ich hing die feierlichen Urkunden für erfolgreiches Beenden des Lesehefts darum in der Toilette auf. Und selbst dort wurde es langsam eng. Ich ärgerte mich, wenn die sehr jungen Kindergärtnerinnen mitten im Kindergartenjahr heirateten. Das kam ziemlich häufig vor.
Urkunden Zum Abschied händigten die Glücklichen den Kindern laminierte Urkunden aus. Darin stand, dass das Fräulein große Freude mit unserer frechen Tochter hatte. Und dass Gott, der Barmherzige, unser fünfjähriges Mädchen weiterhin beschützen und sie in naher Zukunft ebenfalls in den Hafen der Ehe führen soll – Amen. Und zur Sicherheit nochmals Amen.
Wenn ich ehrlich bin, aber das bin ich selten, sind mir diese vielen Diplome ein Gräuel. Ich finde, an den Wänden soll nur hängen, was auch wirklich speziell ist. Dazu zählen leider auch die Teilnahme-Medaillen vom Sohnemann, der zwar sein Bestes beim Rennen gegeben hat, aber eben nur 21ster oder 24ster wurde.
Batmizwa Vergangene Woche erhielt die große Tochter einen Brief. Die jüdische Gemeinde schickte ihr ein zerknittertes Diplom. Darin stand, dass sie den Batmizwa-Kurs erfolgreich bestanden hatte. Der Kurs ging ein halbes Jahr.
Einmal musste sie Challa backen, ein anderes Mal besuchte sie einen Rabbi, der ihr abenteuerliche Geschichten über junge Mädchen erzählte, die vom richtigen Weg abgekommen waren.
Ich habe keine Ahnung, wie man diesen Kurs nicht bestehen kann. Vielleicht, indem sie die Challa im Ofen extra vergessen oder den Rabbi am weißen Bart gezogen hätte. Ausnahmsweise waren wir mal gleicher Meinung und warfen das Diplom ins Altpapier.
Sie tippte mir auf die Schulter und meinte: »Papi, kannst auch gleich alle anderen Diplome wegwerfen.« »Auch das hier, das du für dein erstes Mal Schuhbinden bekommen hast?« Sie nickte tapfer. Ich war sehr beeindruckt. Am liebsten hätte ich ihr dafür eine Urkunde ausgestellt.