Der Countdown läuft: Noch acht Wochen bis Rosch Haschana. »Innere Einkehr« und »Bilanz ziehen« wird bei mir definitiv ausfallen. Schon jetzt bin ich bereit, das Jahr 5780 aus dem Kalender zu streichen.
Österreich – Die Kuhglocken läuteten. Und irgendwie war alles nicht real.
»Sind die Urlauber munter und erholt zurückgekehrt?«, fragte die freundliche Kollegin am Montagmorgen. »Na klar«, sagte ich. Sollte ich etwa als Einzige zugeben, grantig und unausgeschlafen zu sein? Aber wie kann ein Familienurlaub erholsam sein, nach Homeoffice und Schulschließung, wenn alle Beteiligten sich schon seit drei Monaten Tag und Nacht auf der Pelle hocken?
Ruhe Schon zu Beginn der Ferien wollte ich nur noch eines: meine Ruhe. Spontan habe ich mich zwei Tage alleine in einem Hotel in Potsdam einquartiert. Frühstück gab es für 18 Euro abgepackt auf einem Teller.
Ein Konsumrausch im Holländischen Viertel sorgte für ein tiefes Minus auf meinem Konto: Jetzt habe ich zwei neue Sommerkleider, neue Sandalen, neue Turnschuhe und drei neue Bücher. War das Erholung? Schwer zu sagen. Jedenfalls hatte ich ein schlechtes Gewissen und habe alle zwei Stunden zu Hause angerufen.
Eine Woche später schien in Vorarlberg die Sonne. Die Berge waren großartig. Die Kuhglocken läuteten. Und irgendwie war alles nicht real. Im Hotel schien man der Meinung, Corona sei so gut wie vorbei. Es gab ein Frühstücksbuffet, Wiener Schnitzel und Maskenpflicht nur in der Gondel.
Südtirol Der Kaffee war miserabel, nicht zu vergleichen mit dem Urlaub in Südtirol im vergangenen Sommer, als noch niemand wusste, was 5780 bringen würde. Nach drei Tagen Österreich fragte mein Sohn: »Wann ist wieder Schule?«
Wer braucht schon Urlaub? Lieber durcharbeiten, bis der Impfstoff kommt.
Eigentlich wollte ich ihm erst zur Barmizwa ein Smartphone schenken. Aber stetes Quetschen höhlt den Stein, vor allem im Urlaub. Argumenten wie der anstehenden Klassensprecherwahl, die ohne Zugang zum WhatsApp-Klassenchat nicht zu gewinnen sei, konnte ich nichts entgegensetzen. Jetzt hat mein elfjähriger Sohn ein iPhone, das fünfmal schneller ist als meines. Für Vollbeschäftigung in den verbleibenden drei Wochen Schulferien ist damit auch gesorgt: Der Wahlkampf nimmt an Fahrt auf.
Israel Ich wiederum würde mich gerne vom Urlaub erholen. Aber wo? Leider lässt Israel ausländische Besucher bis mindestens Anfang September nicht ins Land. Als israelische Bürgerin könnte ich trotzdem einreisen, zwei Wochen Quarantäne auf dem Dachgarten meines Cousins in Raanana abreißen und jordanischen Arak trinken.
Ich will mein altes Leben zurück! In Südtirol!
Vielleicht wäre ich dann erholt. Aber so viele Urlaubstage habe ich nicht mehr. Außerdem fällt Rosch Haschana auf einen Schabbat. Auch Sukkot und Simchat Tora liegen auf Wochenenden. Gemeinheit!
Mein Mann findet, wir Juden hätten zu viele Feiertage. Ich dagegen bin der Ansicht, die diesjährige Konstellation ist ein Fall für den Antisemitismusbeauftragten. Ich will mindestens drei Ausgleichstage! Andererseits, wer braucht schon Urlaub? Lieber durcharbeiten, bis der Impfstoff kommt. Oder auch nur bis zu den Herbstferien. Ich will mein altes Leben zurück! In Südtirol!