In meiner Familie ist leider ein großer Streit ausgebrochen. Die Kontrahenten sind meine Frau und ich. Die Leidtragenden sind – wie immer – die unschuldigen Kinder. Gezankt wird jeden Schabbes, und zwar immer um die Mittagszeit.
Vorfreude Meine Frau – noch sind wir verheiratet – behauptet dann stets, ich sei ein Versager. So direkt sagt sie es natürlich nicht, aber ihre Körperhaltung und ihr Augenrollen kann man nicht anders deuten. Auf dem Tisch steht die alte Suppenschüssel von meiner Oma. Der herrlich duftende Tscholent brodelt noch immer ein bisschen. Die Vorfreude auf den Fleischeintopf ist riesig, und eine leichte Erregung überkommt mich.
Den Tscholent habe ich gemacht. Das ist mein Werk. Sehen Sie die dunklen Gulasch-Stücke, wie sie leicht verkocht an der Oberfläche schwimmen? Die habe ich zubereitet. Stundenlang köchelten sie in der Pfanne auf Stufe 2. Erst später habe ich sie dann zu den Kartoffeln, Bohnen und Zwiebeln zugefügt. So habe ich das in einem israelischen Kochbuch gelesen, und daran halte ich mich, als wäre es der Talmud.
Fleisch Meine Frau hingegen kocht Gulasch scharf an, auf Stufe 6. Damit zerstört sie das teure Fleisch in seiner innersten Struktur. Ihr Tscholent ist deswegen ungenießbar. Man kann ihn Gästen nicht servieren. Das geht nicht.
Das Fleisch ist zwar butterweich, aber trotzdem eklig. Richtiges Fleisch muss kaubar sein, ähnlich einem Kaugummi. Wer meinen Tscholent isst, braucht etwas Zeit. Das Wort Tscholent stammt übrigens vom hebräischen Scha’ot (Stunden). Das jüdische Nationalgericht ist eben kein Fast Food. Den Tscholent meiner Frau kann man eigentlich nur alten Menschen servieren, die nicht mehr kauen können. Meine Frau schüttet auch immer viel zu viel Salz in die Brühe.
Gastrokritiker Ihr Tscholent ist also nicht nur eklig, sondern auch gesundheitsschädlich. Trotzdem lieben ihn die Kinder. Aber Kinder lieben auch Cornflakes mit Ketchup. Kinder essen im Restaurant immer nur Pizza oder Pommes. Sind sie deswegen ernst zu nehmende Gastrokritiker?
Wegen Menschen wie mir bleiben wichtige Traditionen des Judentums erhalten. Das Kochbuch aus den 80er-Jahren schreibt ausdrücklich, dass der Tscholent bei Stufe 2 gekocht werden muss. Auch in verschiedenen Internetforen werde ich unterstützt. Dieser Rückhalt tut gut. Ich bin mir sicher, da draußen gibt es noch viele andere Männer, die wie ich leiden. Aber: Wir können Tscholent! Er schmeckt vielleicht nicht so gut, aber er ist immer noch besser als Frauenfußball.