Ganz Deutschland feiert 30 Jahre Mauerfall. Ich nicht. Ich werde mir die Decke über den Kopf ziehen und auf keinen Fall eine Sektflasche öffnen, weil ich jetzt schon in Katerstimmung bin. Ganz anders als beim 25. Jahrestag des Mauerfalls habe ich dieses Mal nicht die geringste Lust, mir Dokus und Erinnerungssendungen anzuschauen.
Schabbat Wie gut, dass der 9. November auf einen Schabbat fällt. Ein guter Grund, den Fernseher gar nicht erst anzuschalten. Historische Aufbruchstimmung war gestern! Mein erster Gedanke nach der Thüringen-Wahl: »Keine Mehrheit für die Demokratie! Warum können wir die Mauer nicht wieder aufbauen?«
Aber das wäre ja ungerecht. Schließlich haben nur 23 Prozent der Thüringer Wähler den West-Import Björn Höcke gewählt – ein Mann, der in Hessen Beamter bleiben kann, obwohl man ihn ungestraft »Faschist« nennen darf. Der brandenburgische AfD-Chef Andreas Kalbitz wiederum ist Bayer.
Wie gut, dass der 9. November auf einen Schabbat fällt. Ein guter Grund, den Fernseher gar nicht erst anzuschalten.
Eine neue Mauer würde da nicht helfen. Außerdem könnten uns dann meine Schwiegereltern aus Sachsen nicht mehr in Berlin besuchen. Und sie können nichts dafür, sie haben noch nie AfD gewählt. Aber was hilft sonst?
Ikea Eine Freundin erzählte mir am Wochenende, Ikea habe nach der Thüringen-Wahl die WC-Bürste »Höcke« (dunkelbraun, mit Halter) für 99 Cent auf den Markt gebracht. Das ist aber nicht wahr. Es handelt sich um eine Satire aus dem letzten Jahr. In Wirklichkeit ist die Klobürste nicht dunkelbraun, sondern schwarz, und sie trägt den Namen »Bolmen« in Anlehnung an den größten See im westlichen Teil von Småland in Schweden.
2017 wurde das angebliche Ikea-Produkt schon einmal durch die sozialen Medien gespült: Brexit-Gegner nannten sie »Farage« – nach dem britischen Politiker Nigel Farage, der seit 2019 die Brexit-Partei anführt. Doch der schwedische Einrichtungskonzern distanzierte sich umgehend von der Fälschung.
Humor Was lernen wir daraus? Dass der Witz nicht gut war. Wir brauchen keine dunkelbraunen Klobürsten, sondern lieber tiefschwarzen Humor zum Erhalt unseres jüdischen Immunsystems. Schön wären in diesem November auch ein paar Sonnenstrahlen. Aber woher soll das alles kommen, wenn man missmutig und für das Solarium zu hellhäutig ist?
Wir brauchen keine dunkelbraunen Klobürsten, sondern lieber tiefschwarzen Humor zum Erhalt unseres jüdischen Immunsystems.
Ich habe nur eine Lösung: Winterschlaf. Nach Diktat meines Textes kann ich zwar leider nicht verreisen – Urlaub war gestern –, aber ich habe beschlossen, einfach abzuschalten. Und das nicht nur am Schabbat: Bis zur ersten Chanukkakerze lasse ich nichts mehr an mich herankommen. Weder Nachrichten noch das Wetter.
Kissen Wenn eine Mauer quer durch Deutschland nicht hilft, dann baue ich eben meine eigene Mauer. Mit Kissen in meinem Bett. Bis jemand mir die Decke wegzieht oder die Gemeindetagsbesucher im Dezember ein paar wirklich gute Witze nach Berlin mitbringen. Ganz egal, ob aus dem Osten oder aus dem Westen.