Sommerferien in Italien. Ein Ausflug nach Venedig. Und so besuchen wir an einem kornblumenblauen Tag das Museo Ebraico di Venezia im Norden des schwimmenden Touristenmagneten. Auch weil es in den umliegenden Restaurants guten Hummus geben soll, aber das verraten wir niemandem.
Am Campo de Gheto Novo liegt das unscheinbare Kleinod. Das Ghetto wurde vor mehr als 500 Jahren errichtet und gilt als das älteste der Welt. Das Museum entstand 1954. Etwas angestaubt zwar, aber zugleich in modernem Design erzählt es die Geschichte der Juden von Venedig – und das ist eine große Geschichte.
Englisch Wir sind eine mittelgroße Gruppe für die englischsprachige Tour. Die eine Hälfte stellt eine Charedi-Familie aus den USA. Ein bulliger Vater mit Chipstüte, die Mutter mit Blumendruck-Turban, gelangweilte drei Söhne wie die Orgelpfeifen und wunderschöne drei Töchter, wobei die Jüngste so herrlich lacht, dass die Älteste nicht böse sein kann, wenn die Kleine schon wieder etwas anstellt.
Die andere Hälfte ist ein älteres Paar aus Philadelphia, drei lustige Damen aus England, die auch drinnen die Sonnenbrillen nicht abnehmen, und wir. Hinter der Kasse erhebt sich schließlich ein sehr gelangweilter Mann. Ich nenne ihn Chaim. Er wird uns die drei Synagogen zeigen, die zum Museum gehören und besichtigt werden können. Die anderen zwei seien in Betrieb und nichts für Touristen. Punkt.
Ich habe Mitgefühl mit Chaim, der sich tagein, tagaus stündlich die Treppen hoch- und runterschleppt, um uns Touristen Dinge zu erzählen, die wir ohnehin gleich wieder vergessen. Wirklich erstaunlich, dass er trotzdem noch etwas Interessantes unterbringt – zum Beispiel, dass die Architekten und Bauherren allesamt Christen waren und deshalb die Tempel zuweilen nach Kathedralen aussehen, in denen sogar Bilder an den Wänden prangen.
Levantine Schola Auch lässt er uns wissen, dass er kein Freund der sefardischen Synagoge ist, der Levantine Schola, obwohl hier alle Besucher überwältigt die Oreo-farbene Ausstattung bewundern. Zu viel Prunk, meint er und zeigt uns als Nächstes das güldene Barock-Monster der Kanton Schola.
Dort bestaunen wir gerade die eigentlich verbotenen Bilder, von der Arche bis zur Teilung des Roten Meeres, als die orthodoxe Frau aus den USA plötzlich ihre Stimme erhebt: »Ich verstehe das nicht! Warum fünf Synagogen auf so kleinem Raum? Warum haben sich die Juden Venedigs nicht zusammengetan und in einer gebetet?«
Verständnislos schüttelt sie den Kopf, während alle Augen ziemlich weit geöffnet auf sie gerichtet sind. Stille.
Es ist Chaim, der die Hände über dem Kopf zusammenschlägt und anderswo sicher »Madonna!« gerufen hätte. Stattdessen sagt er verzweifelt: »Eine Synagoge für alle? Sie kennen doch die Juden!« Als das Gelächter, das die gesamte Gruppe – Chaim inklusive – ordentlich durchschüttelt, schließlich abebbt, gehen wir geschlossen nach unten, und alle sind sich einig: »Ein Gott, aber bitte für jeden seine Synagoge.« Und jetzt Hummus.