Grüne Almen, sanft läutende Kuhglocken, idyllische Wanderwege – und das alles ohne Smartphone: Das einzige Medium, das im Sommerurlaub an mich herankam, war die Lokalzeitung der deutschsprachigen Südtiroler. Was für ein tiefenentspanntes Blatt!
Bergkur Zwei Wochen lang nicht ein Wort über Antisemiten, auch der Nahostkonflikt wurde nur gestreift. Eine Schlagzeile verkündete: »Wieder vier Schafe gerissen«, wobei der Übeltäter ein Wolf war; Gülle-Unfälle und fast ertrunkene Kinder im Schwimmbad füllten halbe bis Dreiviertelseiten. Jetzt bin ich schon eine Woche zurück im Büro und immer noch völlig gelassen. Mir scheint: Die Bergkur war erfolgreich!
Allerdings hatte ich während meines Urlaubs einen kleinen Rückfall, den ich schwer büßen musste. Unvorsichtigerweise habe ich einem Miturlauber während einer Wanderung erzählt, dass ich für eine jüdische Zeitung arbeite. Der berichtete mir daraufhin begeistert, er habe neulich einen tollen Vortrag von einem beeindruckenden jungen Juden gehört, der für eine wichtige Friedensinitiative in Berlin arbeitet.
Eine Wanderung bis auf 2400 Meter ist für eine Berlinerin eine geradezu hochalpine Tour.
Ich versuchte, mich diplomatisch mit der Bemerkung zu retten, dass ich im Urlaub nicht über Politik rede. Leider war meine Laune trotzdem dahin. Später, als die Luft schon dünner wurde, sollte ich einem anderen Wanderer meinen Standpunkt zum Jüdischen Museum Berlin erläutern. Ich muss mich gut geschlagen haben, denn ich bekam zu hören: »So steht das aber nicht in der Zeitung!«
Knie Ich habe nicht gefragt, welche Zeitung er meint, sondern mich lieber auf den Weg konzentriert. Kein leichter Job, denn 900 Höhenmeter sind nichts für einen erfahrenen Bergwanderer, aber viel für Redakteurinnen, deren Waden- und Oberschenkelmuskeln durch Schreibtischarbeit völlig verkümmert sind. Warum habe ich nicht früher mit dem Wandern angefangen, als die Knie noch in Schuss waren?
Egal, ich habe es trotzdem auf die Hütte geschafft – auf fast 2400 Meter Höhe, für eine Berlinerin eine geradezu hochalpine Tour. Dass die Zusammenstellung der Brettljause (Speck und Käse) nicht wirklich den Kaschrut-Vorschriften entsprach, wollte ich gegenüber meinen Mitwanderern nicht auch noch heraushängen lassen. Man darf sich doch nicht ständig überanstrengen. Ein Rückfall pro Urlaub ist definitiv genug!
Die Zusammenstellung der Brettljause entsprach nicht wirklich den Kaschrut-Vorschriften.
Nach zwei Tagen Muskelkater war ich wieder in Form und erzähle seitdem allen, die es hören wollen, von meiner sportlichen Höchstleistung. Weil ich in Zukunft noch lockerer werden möchte, ist mein nächster Südtirol-Urlaub schon gebucht.
Allerdings gibt es ein Problem: Jom Kippur fällt mitten in die Herbstferien. Was macht man da bloß? Wandernd fasten? Fastend wandern? Das Sündenbekenntnis unter dem Gipfelkreuz rezitieren, falls ich es jemals bis dort oben schaffe?
Mir fällt dazu nur eines ein: »Auf der Alm, da gibt’s koa Sünd, weil do da Pfarrer net aufikimmt.« Hilft mir nicht wirklich weiter, aber bis zum nächsten Urlaub habe ich ja noch Zeit, darüber nachzudenken. Ganz entspannt.