Glosse

Der Rest der Welt

Foto: dpa

Ich bin mit einer deutschen Oma aufgewachsen. Was für Sie vielleicht ziemlich unspektakulär klingt, war in Israel eher die Ausnahme. Aber egal: Denn ist nicht alles, was man von seiner Oma braucht, Liebe, Geborgenheit und gutes Essen? Nicht so bei meiner Großmutter. Sie war da etwas anders. Sie legte Wert auf Erziehung und Regeln.

Auch beim Thema Essen war meine Oma, sagen wir mal, speziell. Wie speziell? Dazu ein kleines Beispiel.

Abendbrot
Meine beste Freundin kommt aus einer marokkanisch-irakischen Familie. Die Küche ihrer Großmama war voller Liebe und noch mehr Gewürzen. Sie kochte unterschiedlichste Gerichte. Angefangen vom Fisch in scharfer Soße über himmlischen Auberginensalat bis hin zu Reis mit sieben Gewürzen und einem Braten, der vor Zartheit auf der Zunge zerging. Die Küche meiner Oma hingegen war eher praktisch orientiert: Oft gab es Suppe, meistens Abendbrot mit diesem heiligen Ritual, die Butter eine halbe Stunde vor dem Essen aus dem Kühlschrank zu stellen.

Meine Oma musste aus Deutschland fliehen und kam 1936 ins damalige Palästina. Sie lebte fortan in diesem wüstenheißen Land, in dem es – wie sie immer sagte – keinen Sinn für Mode oder Kultur gab. Sie war eine gebildete junge Frau, beherrschte vier Sprachen und lernte schnell Hebräisch. So vieles allerdings vermisste sie: eine gewisse Ordnung und bestimmte Abläufe, klassische Musik, den Winter. Ihr fehlten Schokolade und die Höflichkeit von früher. Ihre Enkel sollten es einmal besser haben und deshalb ihre Werte erlernen.

Sie hatte dieses heilige Ritual, die Butter eine halbe Stunde vor dem Essen aus dem Kühlschrank zu stellen.

Kibbuz Das war gar nicht so einfach, denn ich wuchs in einem Kibbuz auf und war ein Kind, das barfuß zwischen Kühen und Pferden umherrannte, mit den Fingern aß und immer schmuddelig war. Kurzum: nicht gerade das, was Oma unter einer guten Erziehung verstand.

Kernpunkte ihrer Erziehung waren Tischmanieren – bis heute habe ich damit meine Schwierigkeiten – und klassische Musik. Während alle anderen Kinder mit Umarmungen und Küssen überhäuft wurden, einfach, weil sie sie selbst waren, musste ich immerfort mein Deutschsein beweisen.

Literatur Je älter ich wurde, desto mehr näherte ich mich jedoch meiner Oma an. Wir hatten ähnliche Interessen: Literatur, Tanz und Musik. Meine mangelnden Tischmanieren blieben – aus Großmutters Sicht – jedoch ein großes Manko.

Ich lernte so viel von ihr. Die hohe Kunst, das Fehlverhalten anderer halblaut zu kommentieren. Wenn wir in einer Schlange warten mussten – und das ist ziemlich schwierig in Israel, weil niemand wartet, schon gar nicht in Schlangen –, sagte sie zu mir: »Schau dir das doch mal an. Es gibt Menschen, die können nicht einmal richtig anstehen.«

Die hohe Kunst, das Fehlverhalten anderer halblaut zu kommentieren, habe ich von Oma gelernt.

Viele Jahre dachte ich, meine Oma sei eine kalte oder strenge Frau gewesen. Als ich nach Deutschland zog, merkte ich: Sie war ganz einfach nur deutsch.

Muttertag Weil also am Wochenende Muttertag ist: Danke auch an meine Oma! Danke, dass du mich ganz unbewusst auf eine der vielfältigsten Herausforderungen vorbereitet hast: den Umgang mit Deutschen. Ein finsteres Gesicht oder ein blöder Spruch können mir nichts anhaben. Ich habe alles von der Pieke auf gelernt. Schließlich bin ich eine von euch!

Antisemitismus

Gert Rosenthal: »Würde nicht mit Kippa durch Neukölln laufen«

Die Bedrohung durch Antisemitismus belastet viele Jüdinnen und Juden. Auch Gert Rosenthal sieht die Situation kritisch - und erläutert, welche Rolle sein Vater, der Entertainer Hans Rosenthal, heute spielen würde

 01.04.2025

Berlin

Hans Rosenthal entdeckte Show-Ideen in Fabriken

Zum 100. Geburtstag des jüdischen Entertainers erzählen seine Kinder über die Pläne, die er vor seinem Tod noch hatte. Ein »Dalli Dalli«-Nachfolger lag schon in der Schublade

von Christof Bock  01.04.2025

Künstliches Comeback

Deutschlandfunk lässt Hans Rosenthal wiederaufleben

Der Moderator ist bereits 1987 verstorben, doch nun soll seine Stimme wieder im Radio erklingen – dank KI

 01.04.2025

Interview

Günther Jauch: »Hans Rosenthal war ein Idol meiner Kindheit«

Der TV-Moderator über den legendären jüdischen Showmaster und seinen eigenen Auftritt bei »Dalli Dalli« vor 42 Jahren

von Michael Thaidigsmann  01.04.2025

Jubiläum

Immer auf dem Sprung

Der Mann flitzte förmlich zu schmissigen Big-Band-Klängen auf die Bühne. »Tempo ist unsere Devise«, so Hans Rosenthal bei der Premiere von »Dalli Dalli«. Das TV-Ratespiel bleibt nicht sein einziges Vermächtnis

von Joachim Heinz  01.04.2025

TV-Legende

Rosenthal-Spielfilm: Vom versteckten Juden zum Publikumsliebling

»Zwei Leben in Deutschland«, so der Titel seiner Autobiografie, hat Hans Rosenthal gelebt: Als von den Nazis verfolgter Jude und später als erfolgreicher Showmaster. Ein Spielfilm spürt diesem Zwiespalt nun gekonnt nach

von Katharina Zeckau  01.04.2025

Geschichte

»Der ist auch a Jid«

Vor 54 Jahren lief Hans Rosenthals »Dalli Dalli« zum ersten Mal im Fernsehen. Unser Autor erinnert sich daran, wie wichtig die Sendung für die junge Bundesrepublik und deutsche Juden war

von Lorenz S. Beckhardt  01.04.2025 Aktualisiert

Hans Rosenthal

»Zunächst wurde er von den Deutschen verfolgt - dann bejubelt«

Er überlebte den Holocaust als versteckter Jude, als Quizmaster liebte ihn Deutschland: Hans Rosenthal. Seine Kinder sprechen über sein Vermächtnis und die Erinnerung an ihren Vater

von Katharina Zeckau  01.04.2025

TV-Spielfilm

ARD dreht prominent besetztes Dokudrama zu Nürnberger Prozessen

Nazi-Kriegsverbrecher und Holocaust-Überlebende in einem weltbewegenden Prozess: Zum 80. Jahrestag dreht die ARD ein Drama über die Nürnberger Prozesse - aus der Sicht zweier junger Überlebender

 01.04.2025