Ich stehe vor einem großen Problem. Ich will von der Israelitischen Religionsgesellschaft Zürich zur Israelitischen Cultusgemeinde Zürich wechseln. Die Erstgenannte ist streng orthodox geführt, bei der anderen handelt es sich um eine lockere Einheitsgemeinde.
Im Prinzip ist Gemeinde-Hopping kein großes Ding. Ich denke, eine Saisonkarte des FC Bayern München in eine von Bayer 04 Leverkusen umzutauschen, ist schwieriger.
anmeldeformular Nun, ich habe das Anmeldeformular zur Hand genommen und wusste auf alles eine Antwort: meinen Namen, meinen Geburtstag, meinen Personenstand und meine Lohnklasse. Nur die Fragen nach einer Kopie meines jüdischen Ehevertrags konnte ich nicht beantworten.
Der Rabbi hat mir damals unmittelbar vor der Hochzeit befohlen: »Da, unterschreib!«
Ich habe das Dokument nämlich verloren. Ohne Ehevertrag nimmt mich aber keine jüdische Gemeinde auf. Es wäre ja möglich, dass ich ein Goj bin und in einer jüdischen Gemeinde Steuern bezahlen will. Das kommt sicher häufig vor. Bei dem Ehevertrag handelt es sich um einen Text in aramäischer Sprache, den niemand lesen oder verstehen kann. Aber ohne ihn ist man aufgeschmissen.
Ich weiß nicht, was in diesem Vertrag steht. Wahrscheinlich, dass ich meine Frau nicht über Gebühren verhauen darf. Der Rabbi hat mir damals unmittelbar vor der Hochzeit befohlen: »Da, unterschreib!« Der Geistliche kam aus Russland und beherrschte nur Zwei-Wort-Sätze: »Ring geben!«, »Wein trinken!«, »Wodka trinken!«, »Geld geben!«.
giftschrank Später habe ich den Ehevertrag im Giftschrank verwahrt, wo der Impfausweis, die Jodtabletten und viele Dosen Ravioli ungeduldig auf den atomaren Ernstfall warten. Ich zermarterte mir das Gehirn: Wo zum Teufel liegt der Ehevertrag? Plötzlich kam die Erinnerung zurück, und ich jubelte: Ich hatte den Vertrag kürzlich in der Hand gehalten, als ich den Keller ausmistete. Damals habe ich ihn vermutlich auf den Bürgersteig zu den anderen Gratissachen gelegt.
Vielleicht liest der Besitzer die Jüdische Allgemeine. Mein Aufruf geht also direkt an Sie: Kommen Sie doch kurz vorbei!
Ich habe in der Nachbarschaft herumgefragt. Vielleicht hat ihn jemand genommen. Undenkbar ist das nicht. Denn, so meine vage Erinnerung, mein Ehevertrag sieht hübsch aus. Mit Blümchen und Vögelchen. Wir haben das Schriftstück in Israel in einer Galerie gekauft. Ich kann mich sogar noch an den Mundgeruch des Verkäufers erinnern. Vielleicht hängt mein Ehevertrag jetzt in irgendeinem Zürcher Schlafzimmer.
Diese Vorstellung beruhigt mich ein wenig. Denn das bedeutet, dass er noch irgendwo ist. Und vielleicht liest der Besitzer die Jüdische Allgemeine. Mein Aufruf geht also direkt an Sie: Kommen Sie doch kurz vorbei! Es gibt Kaffee und Kuchen. Und 100 Franken Finderlohn.