Glosse

Der Rest der Welt

Die Hölle, das sind die anderen oder Warum werde ich ständig unterbrochen?

von Ayala Goldmann  21.02.2019 15:08 Uhr

Wehe dem Nächsten, der in mein Zimmer kommt! Foto: Getty Images / istock

Die Hölle, das sind die anderen oder Warum werde ich ständig unterbrochen?

von Ayala Goldmann  21.02.2019 15:08 Uhr

Journalisten genießen viele Privilegien. Ich auch: In den Winterferien durfte ich meinen Sohn mit ins Büro bringen. Der Neunjährige saß vier Stunden brav am Computer, hörte Musik mit Kopfhörern und unterhielt sich mit meinem Kollegen über Sportberichterstattung. In der Mittagspause sagte er: »Mama, ich will doch nicht Journalist werden.« »Wa­rum nicht?«, fragte ich. »Weil ihr die ganze Zeit im Büro sitzt und auf den Bildschirm starrt«, sagte mein Sohn. »Deshalb bist du jeden Abend so gestresst.«

Ich versuchte, ihm den Unterschied zwischen Redakteuren und Reportern zu erklären – mit mäßigem Erfolg. Anschließend dachte ich nach: Warum bin ich gestresst? Weil ich gerne konzentrierter und effektiver wäre. Aber schon im Jahr 2014 hat eine Studie herausgefunden, dass Arbeitnehmer von fünf Tagen im Büro nur drei Tage produktiv sind. »Sinnlose Unterbrechungen und Ablenkungen verhindern, dass wir effizient arbeiten. Zehn bis 15 Prozent der Arbeitszeit kosten die Unterbrechungen«, so die Studie.

hundewelpen Das glaube ich sofort. Es ist noch nicht einmal elf Uhr, und ich bin bei dem Versuch, einen Text zu schreiben, schon 17-mal unterbrochen worden. Den ersten Auftritt hatte Kollege A, ein Tierfan, der gerne Fotos von Hundewelpen zeigt. Es folgte Kollegin B mit einer Geburtstagskarte für den Kollegen A: »Bitte unterschreiben!« Nichts gegen die werte Belegschaft, aber warum müssen die Leute dauernd Geburtstag haben? Wir könnten alle vier Jahre am 29. Februar kollektiv feiern und uns gegenseitig Blumensträuße überreichen, dann wäre Schluss mit der ständigen Gratuliererei. Aber das darf man ja nicht laut sagen, sonst gilt man gleich als Misanthropin.

Das darf man ja nicht laut sagen, sonst gilt man gleich als Misanthropin.

Als Nächster erschien Kollege C mit der Bitte, seine Seite zu lesen. Ich folgte der Aufforderung und hatte meinen Text prompt vergessen. Es folgte Kollege D mit der gleichen Bitte. Wieder ließ ich den Text liegen. Anschließend klingelte das Telefon. Am Apparat war der stellvertretende Gemeindevorsitzende aus Obergrummelbach: Sein Titel sei in der vergangenen Ausgabe nicht richtig wiedergegeben worden. Was für eine Schande, und das in einem jüdischen Blatt! Sein Anwalt sei bereits eingeschaltet. Schönen Tag noch!

dienstagmorgenlaune Kollege E ist beim Arzt. Vielleicht hat man ihn zu oft bei der Arbeit unterbrochen. War ich das? Kollege F ist anwesend, aber mit Dienstagmorgenlaune. Der guckt schon wieder so grantig. Was habe ich ihm getan? Ich denke immer, dass ich schuld bin – eine jüdische Eigenschaft, die das Leben enorm erleichtert. Danach gehe ich in die Küche und koche Kaffee. Arabischen Kaffee mit Hel gegen die Kopfschmerzen, die sich wieder anbahnen. Und jetzt würde ich gerne in Ruhe schreiben. Nur einen einzigen Text ...

Aber gleich wird die nächste Sitzung einberufen. Und dann noch eine. Alle reden die ganze Zeit. Per E-Mail und per WhatsApp regnet es Bildnachrichten. Muss das sein? War die Welt nicht besser ohne diese sinnlos ausufernde Kommuniziererei? Ich warne euch alle: Seht euch vor, liebe Kolleginnen und Kollegen! Wehe dem Nächsten, der in mein Zimmer kommt!

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