»Lerne lachen, ohne zu weinen«, schrieb einst Kurt Tucholsky. Das schöne Zitat kam mir heute Morgen in den Sinn, als mir meine beste Freundin per WhatsApp eine Hiobsbotschaft zukommen ließ: Der Grabstein für ihren verstorbenen Mann sel. A. wird nicht rechtzeitig fertig. Die Askara muss abgesagt werden!
»Was soll ich jetzt bloß machen?«, schluchzte sie ins Telefon.
Ich rief meine Freundin sofort an. »Was soll ich jetzt bloß machen?«, schluchzte sie ins Telefon. »Erklär’ dem Steinmetz die jüdische Tradition«, sagte ich. »Wenn er nicht kapiert, was eine Jahrzeit ist, hetz’ ihm deinen Anwalt und alle Antisemitismusbeauftragten der Länder auf den Hals.« Meine Freundin zierte sich. Das sei nicht korrekt.
Mir fiel irgendwann nichts mehr ein. Ich sagte: »Wenn dein Mann das wüsste, würde er sich totlachen. ›Warum macht ihr euch meschugge?‹, würde er sagen. Spart euch doch den Grabstein, macht lieber eine schöne Reise!«
urlaub Aber meine Freundin hat jetzt alles andere im Sinn als Urlaub. Während ich diese Zeilen schreibe, hängt sie am Telefon. Sie will die Askara retten und einen Alternativsteinmetz auftreiben. Alle fünf Minuten bombardiert sie mich mit Fragen wie: »Travertin, Granit oder Marmor? Viscount White oder Shivakashi? Was meinst du, hätte ihm gefallen?« Als ob ich das wüsste. »Ist doch egal«, sage ich: »Hauptsache, du hast einen Grabstein. Und er sollte nicht mehr als 10.000 Euro kosten.«
Alle fünf Minuten bombardiert sie mich mit Fragen wie: »Travertin, Granit oder Marmor? Was meinst du, hätte ihm gefallen?«
Es gibt Situationen, in denen man pragmatisch sein muss. Wenige Stunden vor der Beerdigung meines Onkels auf dem jüdischen Teil des städtischen Friedhofs – sie liegt über ein Jahr zurück – mussten wir feststellen, dass in der Trauerhalle ein riesiges Kreuz hängt. »Kreuz geht gar nicht«, meinte die Familie.
Ich sagte: »Draußen schneit es. Wollt ihr die Leute in der Kälte stehen lassen? Lasst uns doch einfach in die andere Ecke schauen.« Zu unserem Glück stellte sich heraus: Das Kreuz war abnehmbar. Wir ließen es abschrauben und nach der Trauerfeier wieder montieren.
symbol Doch das christliche Symbol begegnete mir kurz darauf wieder, als wir zusammen mit meiner Cousine den Todesfall bei der städtischen Behörde registrieren ließen. In dem Büro saß ein Beamter am Schreibtisch, gegenüber an der Wand lehnte ein großes Holzkreuz mit der Inschrift: »Max Mustermann, geboren 1.1.2000, gestorben 1.1.2002«.
»Ist nur zur Ansicht, wir bereiten gerade eine Ausstellung vor«, sagte der Beamte entschuldigend. Natürlich dachte ich sofort an den unsterblichen Film Das Leben des Brian: »Jeder nur ein Kreuz!«
Meine Freundin ist Jüdin, aber auch sie hat schwer zu schleppen. Ich versuche, ihr bis zuletzt Mut zu machen: Bis zur Askara hat sie noch 70 Stunden! Und im allerschlimmsten Fall muss sie die Jahrzeit eben ohne Grabstein begehen. Die Verwandten werden wütend sein, aber diese Welt geht nicht unter, und der Steinmetz wird seine Strafe in der kommenden Welt erhalten.
Ich habe meiner Freundin gerade eine WhatsApp geschickt: »Wenn dein Mann wüsste, was los ist, würde er sagen: ›Weißt du, es gibt Wichtigeres. Hauptsache, du vergisst mich nicht.‹ Oder um mit Tucholsky zu sprechen: ›Lerne lachen, ohne zu weinen!‹«